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Besprechung CD

cpo 777 210-2

1 CD • 57min • 2006

16.05.2011

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 9
Klangqualität:
Klangqualität: 9
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 9

Dass ich mich der Gefahr der Vierteilung aussetze, wenn ich Ernst Krenek einen musikalischen Opportunisten nenne, ist mir wohl bewußt. Doch ich riskier's, denn der Beweismittel sind viele, und sie werden durch die neueste Produktion aus dem Hause cpo – wo ja bereits die anderen vier numerierten Sinfonien erschienen – nicht entkräftet, sondern nur noch verstärkt. Dabei gibt es gerade in der Sinfonie Nr. 4 mancherlei, was man gemeinhin als „starke Momente" bezeichnet: Die holzbläserhaltige Einleitung des ersten Satzes weckt hohe Erwartungen, zwischendurch ereignen sich dramatische Ballungen von erheblicher Kraft, und am Ende mündet die Musik in einen erratischen Block, der vermutlich bei der Uraufführung, die am 27. November 1947 in der New Yorker Carnegie Hall stattfand, die Hände des Publikums in Bewegung gesetzt hat.

Interessant wäre indes, zu erfahren, wie Dmitri Mitropoulos, der Premierendirigent und Auftraggeber des halbstündigen Stückes, auf die Musik reagierte. Fast genau sechs Jahre zuvor hatte er Krenek mit freundlichen Worten den Kopf zurechtgesetzt, als er dem klagenden Exilanten schrieb: „Sie beschweren sich beinahe darüber, daß man Sie vergessen habe, doch Sie müssen sich auch selbst fragen, ob Sie nicht auch das Publikum vergessen haben, an das Sie sich wenden. Es scheint, daß es ihnen nicht mehr folgen kann, Sie haben es verlassen, indem Sie sich immer abstrakter gemacht haben, deshalb füürchte ich, daß es auch Sie verlassen hat. Doch ich bin sicher, daß sich das leicht in Ordnung bringen läßt, da ich Ihr Talent und Genie kenne ..."

Krenek hatte daraufhin die bis dato so ernsthaft verfochtene Reihentechnik in der vierten Sinfonie über Bord geworfen und sich einer freien Atonalität befleißigt, die sich allerdings in meinen Ohren ein wenig vorwurfsvoll ausnimmt. „Siehst du, was passiert, wenn ich das mache?" scheint die Musik immer wieder zu fragen, und die vom Autor des Einführungstextes bemühte Erläuterung stützt den Eindruck: „Ich vermutete, daß die Sinfonie, wie wir sie bis zu Gustav Mahler kannten, tatsächlich schon seit geraumer Zeit nicht mehr gangbar ist. Versuche mancher meiner Kollegen in dieser Gattung haben meine Hypothese bisher nicht zu entkräften vermocht," meinte Krenek – und ich denke, daß er damit unter anderem auf Paul Hindemiths Symphonie in Es zielte, die ihm Mitropoulos in seiner schriftlichen Zurechtweisung als Muster einer „menschlichen" Musik unter die Nase gerieben hatte.

Noch verblüffender, und im Kontext des hier vorliegenden Programms geradezu entlarvend, ist die gleichfalls zitierte Behauptung des Komponisten, er habe auch in seinen kühneren Jugendwerken „jede neoklassizistische Tendenz bewußt und energisch" abgelehnt. Darauf erwidert am besten das fünfsätzige Concerto grosso Nr. 2 op. 25 aus dem Jahre 1924, dessen äußere, flinke Abschnitte eine ganz brauchbare Studie im alten Stil sind und das solistische Streichtrio recht neobarock zur Geltung kommen lassen. Die langsameren Sätze hingegen tasten sich auf wunderliche Weise durch Räume und Zeiten: Ein ganz kleines bißchen Mahler und ein wenig Ländler driften vorüber, einige aggressive Repetitionsstrecken und romantisch angehauchte Klangkombinationen begegnen sich beim Versuch, irgendwo zwischen Igor Strawinskys Gedankenklarheit und Paul Hindemiths Hemdsärmeligkeit ein eigenes Plätzchen zu finden.

Anzuerkennen ist an dieser Produktion vor allem die vernehmliche Bemühung der NDR Radiophilharmonie Hannover und des Dirigenten Alun Francis, dem disparaten Erscheinungsbild der beiden Kompositionen so viel wie nur möglich an innerer Spannung und äußerer Leuchtkraft mitzugeben. Dergestalt findet die vor einigen Jahren begonnene Gesamtdarstellung einen würdigen, überaus lehrreichen und nachdenkenswerten Abschluß.

Rasmus van Rijn [16.05.2011]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Ernst Krenek
1Sinfonie Nr. 4 op. 113 00:30:26
4Concerto grosso Nr. 2 op. 25 00:26:52

Interpreten der Einspielung

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