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Besprechung CD

Günter Raphael Symphonies 2-5 Von der großen Weisheit

cpo 777 563-2

3 CD • 4h 39min • 2003, 2007, 1960

21.05.2010

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 9
Klangqualität:
Klangqualität: 9
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 9

„Die Nachwelt hat viel an Günter Raphael gutzumachen ...“ Ein Booklet, das mit einem derartigen Statement auf uns eindringt, ist schon nach wenigen Zeilen unglaubwürdig geworden und leistet allem, was da musikalisch kommen möchte, einen gehörigen Bärendienst: Denn wie könnte ich im Bewusstsein meiner nie enden wollenden Mitschuld fortan auch nur ein Wort des Einwands gegen die Kompositionen dessen erheben, der – wie uns alsbald das biographisch-medizinische Dossier und Bulletin mit höchster Detailfreude schildert – nicht allein aufgrund seiner väterlichen Herkunft mit den dämlich-perfiden Nürnberger Rassegesetzen kollidierte, sondern eben auch viele unerfreuliche Krankheiten zu überstehen hatte, bevor er nach dem Untergang des ,Reiches’ endlich auf die Füße kam und bis zu seinem recht frühen Tod vor fünfzig Jahren ein respektabler Lehrer an der Kölner Musikhochschule war.

Als Fazit hätte ich’s mir durchaus gefallen lassen: Die künstlerischen Qualitäten herauszustreichen und dann womöglich auf die historische Schicksalhaftigkeit, auf ungerecht(fertigt)e Verkennung und Missachtung einzugehen – das ginge völlig in Ordnung. Doch gerade zum Thema der Qualitäten findet der Essay nur zögerlich. Beispielsweise mit der einleitenden Formulierung, wonach Raphaels „Musik eigentlich keines moralischen Zeigefingers bedarf“ (der justament erhoben wurde), da sie „eigenständig und überzeugend genug“ sei. Worin diese Eigenständigkeit besteht, können wir auf der Grundlage der hier vorliegenden Werke nur mutmaßen. Die zweite Sinfonie h-Moll aus dem Jahre 1931 mit der Opuszahl 34, die Christoph Altstaedt im März 2007 mit dem MDR Sinfonieorchester (übrigens in exzellentem Klang) aufgenommen hat, beschert sogleich den nächsten Konflikt: Die Partitur des seinerzeit 28-jährigen Raphael verdanke sich, so wird verkündet, einer Beschäftigung „mit der klassisch-romantischen Großform, ohne epigonal zu sein“ – ein Urteil, das nur möglich ist, wenn man nicht hört, wie uns gleich im Kopfsatz die Todtenfeier aus Gustav Mahlers zweiter Sinfonie anspringt und wir nachher an den Ohren durch ein angenehm lau temperiertes Wechselbad unterschiedlichster Romantizismen gezogen werden. Schön tönt es und mit jener „Bedeutungsschwere“, an der wir uns ja doch alle einmal in jungen Jahren mit vorgeschobener Unterlippe und schmerzlichem Augenaufschlag verhoben haben ...

Nach transparenteren Ausflügen in eine Art Neobarock – Günter Raphael war, wie’s sich aus seiner Studienzeit ergibt, halt doch ein Kind der Max-Trapp-Familie – folgt die spätere Bekehrung zu jenem dodekaphonischen Komponieren, dem man seine „Mache“ immer sofort anmerkte. Musik wie diese war es, die der Westdeutsche Rundfunk gern in seinen Nachmittagsprogrammen unter der Rubrik „Komponisten aus Nordrhein-Westfalen“ ausstrahlte, weitaus verträglicher als das, was nur bei Nacht gesendet werden durfte, dazu immer an den alten Gebärden orientiert, eine auf „modern“ getrimmte Romantik halt, die es bei herkömmlicher, also tonaler Linienführung möglicherweise sogar ins Abendprogramm geschafft hätte. Die fünfte Sinfonie op. 75 schlägt diesen Weg ein, und die mehr als 70-minütige Chorsinfonie Von der großen Weisheit nach Worten des Laotse op. 81 für Alt, Bariton, Chor und Orchester (1956) setzt ihn in überdimensionaler Weise fort – mit all den Besonderheiten namentlich der vokalsolistischen Stimmführung, die es damals nicht nur bei den „Komponisten aus Nordrhein-Westfalen“ so reichlich gab.

Gleichwohl sind die drei CDs gewiss kein überflüssiges Unternehmen geworden, denn die vierte Sinfonie op. 62 in einer Aufnahme der Berliner Philharmoniker unter Sergiu Celibidache (1950), die Fünfte mit dem NDR Sinfonieorchester unter Hans Schmidt-Isserstedt (1960) und gar die Große Weisheit mit Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter Michael Gielen (1965) zu hören – derlei gehört zweifelsfrei in die Kategorie des historisch Gewichtigen. Und gerade Gielens Umgang mit der riesigen sinfonischen Kantate verdeutlicht wieder einmal den kolossalen Überblick dieses Dirigenten: Es gelingt ihm tatsächlich, das, was an Substanz vorhanden ist, unbeschadet über die lange Aufführungsdauer zu strecken, und dazu viele faszinierende Augenblicke insbesondere dort zu entfalten, wo Chor und Orchester in den Erkenntnissen des chinesischen Philosophen schwelgen. Bewundernswert auch die beiden Solisten, die ihren zwölftongenerierten, oft also weit hinauf- und hinabfahrenden Intervallen expressive Akzente abzugewinnen wissen. Karl Schumann wird abschließend in dem Beiheft mit seiner damaligen Besprechung zitiert, und auch ihm, dem großen Manne der Musikkritik, ist anzumerken, wie er sich windet: „Raphael, ein eigener in Klangsprache und Form [...] im Misterioso des Chorsatzes eingestimmt auf die sanfte Weisheit chinesischer Philosophie, in der orchestralen Diktion ohne aufwendiges Pathos und im Grundcharakterist ernst-meditativ [..] Die Ehrlichkeit und die handwerkliche Qualität dieser Denkermusik überzeugen spontan. Hier hat einer, dem etwas einfiel, über die Harmonia mundi nachgedacht. [...] Seine musikalische Mystik, frei von illustrativen Erdenresten und exotischem Kolorit, wird zwar keine Chance haben, populär zu werden, aber sie wird die wenigen ansprechen, die für die Lauterkeit solcher musikalischer Gedankenkunst empfänglich sind.“

Was soll ich da noch sagen? Nur noch so viel, dass eine klangliche Gesamtbewertung natürlich unmöglich ist und sich die vergebene Note daher nur auf die beiden Neuproduktionen des MDR bezieht.

Rasmus van Rijn [21.05.2010]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Günter Raphael
1Sinfonie Nr. 2 h-Moll op. 34 00:46:23
6Sinfonie Nr. 5 B-Dur op. 75 00:31:50
CD/SACD 2
1Sinfonie Nr. 3 F-Dur op. 60 00:39:46
5Sinfonie Nr. 4 C-Dur op. 62 00:29:25
CD/SACD 3
1Von der großen Weisheit op. 81 (Chorsinfonie nach den Worten des Laotse) 01:12:27

Interpreten der Einspielung

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