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Besprechung CD/SACD

Sony Classical 88697 36059 2

1 CD/SACD • 68min • 2008

07.01.2010

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 10
Klangqualität:
Klangqualität: 9
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 9

Hier haben wir etwas Erfreuliches aus der Schweiz zu vermelden – und genealogisch etwas weiter gegriffen auch aus jenem Ungarn, das sich seit Jahren in politischer und gesellschaftlicher Krise befindet! Die Pianistin Andrea Kauten ist ungarisch-schweizerischer Herkunft (und natürlich auch in diesem grenzüberschreitendem Sinne gegenwärtig), wobei man wissen sollte, dass unter dem Eindruck der sowjetischen Niederwerfung des Aufstandes 1956 viele, sehr viele Ungarn in der Schweiz Zuflucht und Heimat gefunden haben. Andrea Kauten lernte im Alter von sieben Jahren bei dem Basler Pianisten Albert Engel, gelangte 13jährig in das Finale des Zürcher Jecklin-Wettbewerbs, gewann ein Jahr später den schweizerischen Jugendmusikwettbewerb und studierte dann an der Musikakademie Basel. Ein Stipendium des Migros Genossenschaftsbundes ermöglichte es ihr, in Budapest an der Franz Liszt-Akademie bei Kornél Zempléni (dessen Kodály-Doppelalbum auf Hungaroton ich sehr schätze!) und Edith Hambalkó ihre Kenntnisse zu vertiefen. Ich erwähne den Migros-Konzern mit seinen Alkohol- und Tabak freien Läden nicht zuletzt deshalb, weil es auch verwandten Organisationen des Lebensmittelhandels in Deutschland oder Österreich (Lidl, Hofer, Billa, Spar, Penny Markt etc.) für die Politur ihres Images gut zu Gesicht stehen würde, sich auch so uneigennützig (und nachhaltig!) um das Werden junger Musiker zu kümmern.

Aus dieser hochbegabten, im rechten Moment geförderten Andrea Kauten ist eine brillante Pianistin, eine einsichtige, umsichtige, mitteilungsfreudige Interpretin geworden, die im Begleitheft ihrer Schumann-CD mit zwei Zeilen zu erkennen gibt, worauf es ihr im Allgemeinen und bei ihrem pianistischen Beginnen im Speziellen ankommt: „Ich wünsche mir, dass die Menschen für sich etwas finden können, das sie mit der gleichen Leidenschaft und Intensität erfüllt, die mich durchströmt, sobald ich ein Klavier berühre.“

Von leidenschaftlicher, dabei überaus korrekter „Berührung“ des Klaviers – nämlich was die bereffenden Schumann-Vorlagen anbelangt – zeugt die hier zur Diskussion stehende Veröffentlichung der schweizerischen Sony. Beste Voraussetzungen also für eine überzeugende, selbst in den etwas unübersichtlichen Passagen der f-Moll-Sonate (op. 14) rasante, durchsichtige, ebenso lebhafte wie besinnliche Darbietung, die ich ohne zu Zögern an die imaginäre Spitze einer interpretatorischen Rangliste dieses bei den professionellen Klavierspielern nicht allzu beliebten Werkes setze. Viele Ausführende – wie etwa Katsaris – haben sich ja den auf einem Clara Wieck-Thema basierenden Variationssatz herausgepickt und im Übrigen den Sonaten op. 11 und op. 22 den Vorzug gegeben. Andrea Kauten nun gelingt es, im Notengewühl des Kopfsatzes Ordnung zu halten, ohne in bürokratisches Taktieren zu verfallen. Das alles hat Schwung und Leuchtkraft, erhält im folgenden Scherzo die nötigen Energieschübe. Und in der genannten Variationsfolge gelingt es ihr, eine ganz persönliche Verbindung von Sentiment und kompositorischer Folgerichtigkeit herzustellen. Im finalen „Prestissimo possibile“ lässt sie die Finger wirbeln, lässt Laune an einer klavieristischen Grenzsituation verspüren, freilich gedeckt von einer Virtuosität, die sich dem Hörer nicht mit ungeziemender Wildheit verkauft, sondern dem Lauschenden Zeit und Raum zum Atmen eröffnet.

Mit den Symphonischen Etüden gelingt es Andrea Kauten, trotz riesiger LP- und CD-Konkurrenz vom ersten Ton an einen vorderen Platz zu behaupten. Ihr Ton, ihr Anschlag – will meinen: ihr Drücken, Tasten und Streicheln – ist dazu angetan, das melancholisch absteigende Akkordpoem zwischen Vertrauens voller Gesundheit und kränkelnder Ungewissheit anzusiedeln. Prägnant und fragend zugleich, um als Initialzündung für alles Folgende in Erinnerung zu bleiben. Géza Anda (in seiner DG-Aufnahme) hat das Werk eine Spur schlanker, eleganter, weltgewandter gedeutet, Alexis Weissenberg um Etliches zielstrebiger, in den schnellen Passagen provokanter. Aber dieser Andrea Kauten ist es gegeben, alles Stürmende, alles Verwegene, alles Gebremste gleichsam unter einem ästhetischen Hut zu versammeln. Und sie ist eine der Wenigen, die in der achten Variation die „Sempre marcatissimo“ zu spielenden Notenwerte klar voneinander trennt. Im Allgemeinen rauschen und rutschen die Interpreten über diese Wertedifferenzen hinweg, als hätte Schumann überhaupt keine Unterschiede notiert. Als besonders nachlässig in dieser Hinsicht zeigt sich Wilhelm Kempff gelegentlich eines Mitschnittes aus dem Jahr 1955 – ein Klavierabend in Rom, der jüngst im Rahmen einer 5-CD-Kassette bei Andromeda erschienen ist.

Ein wichtiges Indiz für gewinnendes Schumann-Spiel sind die rhythmisch stereotypen, bisweilen verkrampft freudvoll anmutenden Finali der Symphonischen Etüden und des Carnavals op. 9. Hier zum guten, prallen, wenn man will: rheinländisch-deutschtümelnden Beschluss der Etüden verfährt Andrea Kauten mit sicherem Instinkt für kontrollierte Plakativität und wie raffiniert eingewobene Sinnlichkeit, wobei ein weiteres Mal ihr manuelles und gedankliches Gespür für mehrstimmige Verlaufskurven zum Tragen und zum Klingen kommt.

Etwas straffer, in der Zeichnung markanter könnte ich mir die Novellette op. 21,1 vorstellen, zumal unter dem Eindruck der für mein Empfinden unübertroffenen Warschauer Richter-Einspielung. Gleichwohl: auch die beiden Noveletten haben Gesicht und wenn nötig bravouröse Aura – und sie bestätigen Andrea Kauten noch einmal als überaus genaue Vorleserin der ihr anvertrauten Texte. Etwas mehr von dieser Genauigkeit wünschte ich der Begleitheftredaktion für kommende Editionen! Falsche Zeitangaben bei den Tracks 9 und 14 (0.07 ist einfach zu kurz gegriffen) – und ein eröffnendes „Allego“ op. 14 sollten doch spätestens bei der Endkorrektur zu bemerken sein.

Vergleichsaufnahmen: Sonate op. 14: Horowitz (Sony), Henschel (Ars musici AM 1407-2), Vorraber (Thorofon CTH 2530), Struhal (Gramola 98804), Itoh (Fontec FOCD 9328), Symphonische Etüden op. 13: Weissenberg (EMI), Anda (DG; 1955 /audite 23.409), Katchen (Decca 4757221), Kabanova (Oehms OC 520), Lorenzen (Troubadisc SACD 01430), E. Stern (ZZT 070201), Gilels (Melodya 10 011134 /Yokohama 1984), Gilels (Moskau 1983 /DVD VAI 4466), Kempff (Andromeda ANDRCD 9056); Novelette op. 21,1: Richter (DG)

Peter Cossé † [07.01.2010]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Robert Schumann
1Piano Sonata No. 3 f minor op. 14 00:29:13
5Sinfonische Etüden op. 13 00:24:39
18Novelette F-Dur op. 21 Nr. 1 00:05:44
19Novelletten Nr. 2 und Nr. 4 op. 21 D-Dur op. 21 Nr. 2 00:06:46

Interpreten der Einspielung

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