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Besprechung CD

Belina Kostadinova Haydn, Chopin, Liszt, Bartók

Gega GD 347

1 CD • 60min • 2007

19.08.2009

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 9
Klangqualität:
Klangqualität: 9
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 9

Im Allgemeinen haben wir es – wenn uns so genannte Debüt-Einspielungen erreichen – mit jungen, meist sogar sehr jungen Interpreten zu tun. In Ausnahmefällen indes wagen es Künstler, mit einer CD-Publikation eine Art zweite Karriere zu starten – wohl wissend, wie schwierig es ist, auf dem heiß umkämpften Terrain des Konzertierens und der medialen Dokumentation einen halbwegs sicheren Platz zu erkämpfen (zumal es ja nicht nur um den schönen Auftrag geht, sich musikalisch dem Publikum mitzuteilen, sondern zumeist auch um die berufliche Existenz!).

In diesem Spannungsfeld weckte die vorliegende Aufnahme der bulgarischen Pianistin Belina Kostadinova meine Aufmerksamkeit, zumal ich sie vor etlichen Jahren als Juror des Zürcher Concours Géza Anda erlebte. Leider musste sie ihn damals frühzeitig beenden. Ihr Spiel der frühen Jahre in sympathischer, insgesamt aber doch blasser Erinnerung, versetzte mich Kostadinova nun mit einem klug, weil abwechslungsreich und von Temperament und Herkunft her attraktiv gewähltem Programm von der ersten Haydn-Phrase an in eine Stimmung der staunenden Neugier. Die zunächst in ihrer Heimat bei Mascha Krasteva, später in Zürich bei Homero Francesch ausgebildete Musikerin feiert mit dieser Edition gewissermaßen einen zweiten, in Wahrheit – wie ich meine – ihren ersten pianistischen Frühling. Sicher haben zu dieser Entfaltung von Talent und ästhetischen Einsichten auch Meisterkurse bei Rudolf Buchbinder, Paul Badura-Skoda und bei ihrem berühmten Landsmann Alexis Weissenberg beigetragen. Aber ihre Wiedergaben sind von einer definitorischen, dabei keineswegs stilistisch eingeengten Überzeugungskraft, die sich nicht allein mit Anweisungen und Überzeugungsattacken namhafter Lehrer erklären lässt. Das heißt: Kostadinovas Haydn-Bild mag von den Buchbinderschen Erfahrungen quer durch das klavieristische Gesamtwerk angestoßen sein, aber im Fall der munter-geistvollen D-Dur-Sonate findet die Interpretin einen – bei aller technischen Wendigkeit – humaneren, im Detail liebevolleren Tonfall als ihr österreichischer Mentor im Rahmen seiner Telefunken / Teldec-Gesamtaufnahme.

Diese Haydn-Sonate funkelt, die Motive sprechen, haben ihren sicheren Platz in der Dramaturgie des Schnellen wie des Bedächtigen. Und im knapp gefassten Presto-Finale vermeidet Kostadinova jede Überhitzung des Tempos, sodass die Haydnsche Eiligkeit nicht – wie so oft selbst bei gestandenen Klaviermeistern! – in fiebrige, unkontrollierte Hetze umschlägt. Dieser Vorzug der Beherrschung im Bereich der technischen Mobilität kennzeichnet auch die Wiedergabe der Chopin-Etüden op. 10. Im Begleitheft (leider nur in englischer und bulgarischer Sprache!) wird erwähnt, wie sehr Kostadinova die Kunst des ungarischen Pianisten Géza Anda schätzt – und in diesem Zusammenhang vor allem dessen jegliche „Sportlichkeit“ meidende Interpretation des ersten Etüden-Bandes. So ist es nicht überraschend, wenn hier eine Pianistin den Glanz der C-Dur-Etüde op. 10,1 aus der Kraft einer umsichtigen Behutsamkeit entwickelt, also das Hinauf- und Herab der gebrochenen Akkorde bei aller Brillanz als farblich-melodische Ereignisfolge in den Griff bekommt (und über genügend Souveränität verfügt, dynamische Nuancierungen, wie sie Chopin notiert hat, wie selbstverständlich in den rasanten Lauf der Dinge einzuspeisen).

Unter den zahlreichen Einspielungen der Etüden op. 10 erlebe ich diese Version in ihrer Balance aus Virtuosität und erzählender, alles Mechanische aufwertender Gestik in Nähe der Harasiewicz-Einspielung aus den späten 50er Jahren, mithin als geglückten Versuch, diesen Stücken jene nackte-technische Aura zu versagen, die allzu oft die konzertante Praxis und auch viele der Einspielungen prägt und nach erster Begeisterung dann doch einen unbefriedigten Hörer hinterlässt.

Das Programm dieser in Zürich aufgenommenen CD beweist Sinn für literarisch-genealogische Bezüge. Chopin und Liszt (mit den Funérailles) im Zentrum, Haydn- und Bartók-Stücke aus dem österreichisch-ungarischen Kulturraum als historisch-aktuelle Rahmenhandlung, wobei die Tänze „im bulgarischen Rhythmus“ aus dem „Mikrokosmos“ auch noch an die Herkunft der Interpretin erinnern. Liszts „Trauerspiel“ erklingt unter den Händen von Belina Kostadinova als Poesie des Düsteren, als eine pianistische Gedankenarbeit gleichsam unter indirekter Beleuchtung. Will sagen: die einleitenden Glockentöne sind kräftig, aber sie dröhnen nicht – und der von kreisenden Oktaven untermalte Mittelteil bleibt psychologische Bildhaftigkeit von Erschütterung, wird nicht – wie etwa im Zentrum von Chopins As-Dur-Polonaise – als manische Etüde für die linke Hand in Szene gesetzt.

Rhythmisch und farblich konsequent, dabei elastisch und mit feinem Rubato beenden die Bartók-Tänze eine Produktion, die nicht die letzte einer Pianistin sein sollte, zumal sie sich – wenn ich mich nicht irre – auf direktem Weg in eine interessierte Öffentlichkeit befindet.

Vergleichsaufnahmen: Chopin: Etüden op. 10 – Matsuzawa (Novalis 150 142-2), Perahia (Sony SK 61885), Wirssaladze (Moskau LCL 382), Pollini (DG 463051-2), Lugansky (Erato 8573-80228-2), Biret (Naxos 8.501501), Novaes (Vox CDX 3 3501), Malikova (RS 0051-0027), Perlemuter (Nimbus 1764), Chiu (Harmonia mundi HMU 907201), Mazzola (M&S 5018/2), Kosuge (ram 59908), Gruzman (organo phon 90112), Reinhold (AMU 106-2), Cherkassky (Great Pianists Philips 456 742-2), Cziffra (Great Pianists Philips 456 760-2), Cortot (Great Pianists Philips 456 751-2). Tomassi (EMI 572779 2), Freddy Kempf (BIS SACD 1390), Penneys (Centaur CRC 2210), El Bacha (Forlane 16785), Ragna Schirmer (Berlin classics 0017602BC), Picht-Axenfeld (RCA RVC-2033), Freire (Decca 475 6617), Leimer (Colosseum Classics COL 9201.2), De Maria (Decca 476 5926), Mursky (Hänssler PH 04070), Harasiewicz (Philips/Decca 442 8746), Shaboyan (Oehms 713),

Peter Cossé † [19.08.2009]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Joseph Haydn
1Klaviersonate Nr. 24 D-Dur Hob. XVI:24 00:11:27
Frédéric Chopin
4Etüden op. 10 00:27:25
Franz Liszt
16Les Funérailles S 173 Nr. 7 (aus: Harmonies poétiques et religieuses) 00:12:25
Béla Bartók
17Mikrokosmos Sz 107 BB 105 (153 Progressive Piano Pieces) 00:08:33

Interpreten der Einspielung

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