Nachtstücke
OehmsClassics OC 733
1 CD • 66min • 2008
16.04.2009
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Hatten mich Herbert Schuchs Schubert-Deutungen (Oehms Classic OC 593) schon in den Bann gezogen, so fühlte ich mich bei seiner neuen CD „Nachtstücke“ gar wie das Kaninchen vor der Schlange: unfähig, mich zu bewegen, wegzuhören oder auch nur einen Moment gedanklich abzuschweifen. Nicht ob der glänzenden, unfehlbar scheinenden Technik oder des grandiosen Ordnungssinns Herbert Schuchs. Darüber muss ich mich nicht näher auslassen. Schuch benutzt dies einfach als selbstverständliches Grundvokabular auf dem Weg zu erlesensten Charakterzeichnungen und tonmalerischen Stimmungsbildern. Zugegeben, eine um größtmögliche Objektivität bemühte Besprechung seiner neuen CD will mir nicht so recht gelingen. Vielleicht ein Fehler. Aber wie der Dreißigjährige in Schumanns Nachtstücken op. 23, Skriabins Schwarzer Messe oder Ravels Gaspard de la nuit ein Glanzlicht an das nächste reiht, wie er Klangfarben Kontur und Leidenschaften Struktur verleiht, das muss man einfach auf sich wirken lassen. Man möge es mir nachsehen, wenn ich diese Eindrücke nur schwer in Worte fassen kann.
Schumanns Nachtstücke: Schuch beschwört weder abgründige Klangwelten noch Seelendramen herauf. Melancholie in Abstufungen der nuanciertesten Art, ja, aber immer mit einem gewissen, fast schon unheimlichen Augenzwinkern: Etwa in dem Sich-Zeit-Nehmen für das Ende des „Trauerzugs“, in der überrumpelnden, beinahe sarkastischen Art und Weise, wie er die gestochen scharf modellierten Akkordfolgen in der „Kuriosen Gesellschaft“ tatsächlich einem Gelächter gleich zum Klingen bringt, wie er die drängenden Achtelpassagen des „Nächtlichen Gelages“ vor Spannung vibrieren lässt, oder wie er in den Arpeggien des Schlusssatzes jeder Note ein besonderes Gewicht verleiht. Doch das Wichtigste: In dem Gegeneinander und dem zwingenden Ineinanderfließen von Poesie und ungestümem Drängen zelebriert Schuch instinktsicher den spezifischen Schumann-Ton. Ein untrügliches Gespür für subtilste Klangformungen und -färbungen beweist der Pianist selbst in einer Art des auskomponierten Verstummens innerhalb von Heinz Holligers Klangstudien Elis – Drei Nachtstücke. Und natürlich in Alexander Skriabins Sonate Nr. 9 op. 68 Messe noire. Mag der ein oder andere auch die gnadenlose Attacke und das letzte Quentchen Wahnsinn vermissen, so formt Schuch das fortwährend Bedrohliche und die Angstzustände dieses Werks zu einem hoch gespannten Gesamtbild voller kontrollierter Entladungen, das der – nach Skriabin – „Beschwörung in Tönen“, dem „schlummernden Heiligtum, umgeben von bösen Zaubern“, der „Entweihung des Heiligtums“ und dem „Zug der Teufelsmächte“ weitaus näher steht als manch reißerische Pianistik. Mitverantwortlich dafür ist seine unerschöpflich reiche Anschlagskultur, die dann Maurice Ravels Gaspard de la nuit die Krone aufsetzt – man höre die Tonrepetitionen in Scarbo. In dessen makabren und dämonischen Zügen lässt sich der Klangästhet Schuch nicht zu pianistischer Raserei verleiten, sondern bewahrt rhythmische Elastizität, strukturiert glasklar, opfert nichts dem vordergründigen Effekt und hält drohende Urgewalten gerade noch im Zaum; diese eben nicht vollständig freizugeben, das zeugt meines Erachtens von großem Künstlertum. Doch damit nicht genug. Mozarts Adagio h-Moll KV 540 macht diese CD erst vollkommen. So, als sei das ganze Programm und Herbert Schuchs Interpretationsansatz auf diesen einen Moment am Ende des an dynamischen und atmosphärischen Kontrasten reichen Adagios hin konzipiert, in dem sich h-Moll in ein verklärendes H-Dur löst, Dunkelheit dem Licht weichen muss, Beklemmung, Schmerz und Verzweifelung dieses Werks und aller vorangegangenen sich in Reinheit und pure Schönheit verkehren. Großartig!
Christof Jetzschke [16.04.2009]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Robert Schumann | ||
1 | Nachtstücke op. 23 | 00:18:09 |
Heinz Holliger | ||
5 | Elis - Drei Nocturnes für Klavier | 00:07:29 |
Alexander Scriabin | ||
8 | Klaviersonate Nr. 9 op. 68 (Schwarze Messe) | 00:09:11 |
Maurice Ravel | ||
9 | Gaspard de la nuit | 00:22:40 |
Wolfgang Amadeus Mozart | ||
12 | Adagio h-Moll KV 540 | 00:08:22 |
Interpreten der Einspielung
- Herbert Schuch (Klavier)