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Besprechung CD

OehmsClassics OC 920

2 CD • 1h 55min • 2008

18.03.2009

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 9
Klangqualität:
Klangqualität: 7
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 9

Der in Italien lebende und wirkende Bayer Johann Simon Mayr (1763-1845), einer der erfolgreichsten und mit über 60 Titeln auch einer der fruchtbarsten Opernkomponisten seiner Zeit, war den Musikfreunden lange nur als Lehrer Gaetano Donizettis ein Begriff. Die beispiellose Renaissance, die sein Schüler in den letzten 50 Jahren erlebte, hat auch das Interesse an seinen eigenen Werken neu entfacht. Aufnahmen seiner Opern Medea in Corinto und Ginevra di Scozia (beide bei Opera Rara) dürften zu einer gewissen Schatzgräberstimmung beigetragen haben. Und so kam es im vergangenen Jahr in Braunschweig zu einer verspäteten deutschen Erstaufführung seiner vorletzten Oper Fedra, deren Rundfunk-Mitschnitt nun bei Oehms Classics als „Weltersteinspielung“ auf CD vorliegt.

Als Mayr Fedra schrieb, die zu Beginn der Karnevalssaison im Dezember 1820 an der Mailänder Scala herauskam, war er bereits 57 Jahre alt, hochgeehrt und nicht mehr in Mode. Längst hatte Gioacchino Rossini für die Opera Seria einen neuen Maßstab gesetzt. Antike Stoffe waren zu dieser Zeit eingermaßen „out”. Und die Götter, die in der Geschichte von Phaedra, die in unseliger und tödlicher Liebe zu ihrem Stiefsohn Hippolytos entbrennt, eine so maßgebliche Rolle spielen, erst recht.

Das Libretto Luigi Romanellis basiert auf Jean Racines klassizistischem Versdrama Phèdre (1677), das zuvor schon Jean-Philippe Rameau (Hippolyte et Aricie, Paris 1733), Tommaso Traetta (Ippolito ed Aricia, Parma 1759) und Giovanni Paisiello (Fedra, Neapel, 1788) zu Vertonungen inspiriert hatte. Natürlich konnte die Adaption eines so komplexen, genial konstruierten und sprachmächtigen Theaterstücks für die Opernbühne nicht ohne Verluste abgehen. Doch Romanelli verwässert Racine mehr als nötig. So streicht er die wichtige Rolle der ahnungslosen Gegenspielerin Arikia (die gleichwohl mehrfach erwähnt wird) und schrumpft die Rolle der schillernden Vertrauten Oenone, die als teuflisches Alter Ego der Titelheldin deren politischen Ehrgeiz und sinnliches Begehren ständig anstachelt und sie damit in die Katastrophe treibt, zu einer braven Stichwortgeberin namens Atide, deren Freitod wegen Verstoßung deshalb nur wenig motiviert erscheint. Bei Romanelli ist die Handlung operntauglich auf ein Spiel von Liebe und Tod reduziert, bei Racine geht es um Liebe, Macht und Tod.

Die Serenität von Mayrs Tonsprache, ihre Verwurzelung in den ästhetischen Prinzipien der Wiener Klassik, stehen zunächst in einem gewissen Widerspruch zu der Grausamkeit der Handlung und der beschriebenen Gefühle. Und der Komponist benötigt auch eine längere Anlaufzeit, um das Drama wirklich in den Griff zu bekommen. Die Ouvertüre – Ähnliches finden wir bei Rossini – wirkt noch sehr beliebig, könnte auch einer komischen Oper voranstehen. Die handelnden Personen gewinnen zunächst kein charakteristisches Profil, lassen sich vom Schwung großbogiger Kantilenen davontragen. Doch der erfahrene Theatermann Mayr verleugnet sich nicht lange. Zwar gibt er den Sängern, was sie benötigen, um zu brillieren, aber er verliert sich nicht im vokalen l’art pour l’art. Keine Nummer ist länger als dramaturgisch notwendig, selbst die Arien treiben die Handlung voran oder bringen zumindest Handlungsbereitschaft zum Ausdruck. In den Orchesterrezitativen geht Mayr auch an die Schmerzgrenze, da werden die Leiden der handelnden Personen erfahrbar.

Die Finalszenen beider Akte sind grandios konzipiert und durchgeführt. Die erste (dem Schluß des 3. Aktes bei Racine entsprechend) geht in der Wirkung weit über die literarische Vorlage hinaus: Als der erst totgesagte und dann überraschend heimgekehrte Theseus bei Frau und Sohn statt Freude nur tiefe Betroffenheit vorfindet, bringt ein Concertato, in dem die verstrickten Personen ihre Gefühle äußern, die Handlung erst einmal zum Stillstand. Dann bricht plötzlich ein Sturm mit Blitz und Donner los, dem ein Erdbeben folgt, das die kleine Welt des troizenischen Hofes aus den Fugen geraten lässt. Ebenso stark ist der Schluß der Oper. Während Theseus in einer Arie seine Gewissensbisse formuliert, den Sohn verstoßen zu haben, berichtet der Chor offstage (und dadurch doppelt wirkungsvoll) vom grausamen Tod des Hippolytos. Phaedra, die ihre Schuld erkannt und Gift genommen hat, muß zu all ihrem Unglück auch noch erfahren, dass ihr angebetetes Opfer eine andere Frau, nämlich Arikia, geliebt hat. In dieser Sterbeszene, deren Stimmungen (auch durch den subtilen Einsatz der Blasinstrumente) ständig wechseln, wächst Mayr als Komponist und Musikdramatiker über sich selbst hinaus. Hier wird die Tür zum romantischen Melodramma aufgestoßen, hier ahnt man schon die Opernheldinnen Donizettis und Bellinis.

Gegenüber dem Theaterstück ist in der Oper das Verhältnis zwischen Vater und Sohn stärker herausgearbeitet. Hippolytos hängt mit kindlicher, bis zur Selbstaufgabe gehender Liebe an Theseus, der sich nie viel um ihn gekümmert hat und er haßt seine Stiefmutter, weil sie ihm den Vater weggenommen hat. Theseus wiederum vernimmt plötzlich die Stimme des Blutes, als er sich zwischen Frau und Sohn entscheiden soll. In einem furiosen Ehekrach-Duett sagt er es Phaedra offen ins Gesicht, dass ihm Hippolytos wichtiger ist als sie. Diese Ehe, kein Zweifel, ist unheilbar beschädigt.

In Braunschweig hat diese entmythologisierte, geradezu verbürgerlichte Adaption des antiken Stoffes in der Inszenierung Kerstin Maria Pöhlers ihre Theatertauglichkeit nachdrücklich unter Beweis gestellt. Doch auch als Tonkonserve erscheint sie als ein starkes, musikalisch abwechslungsreiches und dramatisch wirkungsvolles Werk. Die sängerischen Leistungen sind respektgebietend. Capucine Chiaudani, ein interessant timbrierter dunkler Sopran, hat als Fedra Aura und Stimmkaliber für eine Belcanto-Rolle dieses Zuschnitts und der polnische Tenor Tomasz Zagorski produziert als Theseus unangestrengten Tenorglanz. Rebecca Nelsens weniger durchschlagskräftiger Sopran hinterlässt auf der Hörbühne einen noch stärkeren Eindruck als im Theater, technisch versiert und geschmeidig im Klang meistert sie die anspruchsvollen Arien des Hippolytos. Gerd Schaller leitet die Aufführung am Pult kompetent und vital, das Orchester bleibt indes begleitendes Instrument, wird nicht zum Motor der Aufführung, was Mayrs Musik durchaus hergeben würde.

Ekkehard Pluta [18.03.2009]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Johannes Simon Mayr
1Fedra (Melodramma serio in zwei Akten)

Interpreten der Einspielung

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