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Besprechung CD

BIS 1592

1 CD • 67min • 2005

05.07.2006

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 7
Klangqualität:
Klangqualität: 7
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 7

Der Titel dieser Produktion, „Ballett für einen einsamen Geiger“, bezieht sich nicht etwa auf das gesamte Programm, sondern nur auf das kurze Solostück Lonely Suite op. 70 der russisch-amerikanischen Komponistin Lera Auerbach (Jahrgang 1973), die seit 1991 in den USA lebt und arbeitet. Der Untertitel „Ballett“ suggeriert bereits die szenische Anlage des Stückes: Der Geiger ist während sechs kurzer, zusammen gerade einmal zehn Minuten dauernder Sätze mit sich allein, tanzt mit sich, langweilt sich, sorgt sich, hält mit sich Zwiesprache. Das Monologisieren der klassischen Solo-Sonate wird also programmatisch als Einsamkeit, ja Auswegslosigkeit gedeutet. Auerbach arbeitet mit tonalen, von Ferne an osteuropäische Volksmusik erinnernden Melodiefragmenten; das Hauptkennzeichen ihres Materials ist, daß es – hiermit dem Programm gerecht werdend – bewußt keinen Ausweg aus der Tradition finden soll. Das Subjekt äußert sich manchmal auch in längst abgestorbenem geigerischen Arpeggio-Werk – der Titel des betreffenden Satzes, No escape („Kein Entkommen“), spricht hier Bände. Dennoch trägt die Musik, weil Auerbach sie mit einem beträchtlichen Maß an geigentechnischer Raffinesse ausstattet. Ist das Stück also ohne Bühne zu genießen? Ja, wenn man sich die szenische Komponente: den einsamen Geiger, als Kopfkino selbst ergänzt.

Während Auerbach in diesem Ballett trotz der formalen Bruchstückhaftigkeit einen echten Bogen schlägt, zerfällt die 2. Violinsonate op. 63 stärker in einzelne Episoden. Auerbach hat sie laut eigenen Aussagen, einem plötzlichen Impuls folgend, am Tag nach den Anschlägen des 11. September 2001 begonnen. Auch hier benutzt die Komponistin tonale Anklänge, die wiederum recht umstandslos in quasi-atonale Sprachfetzen überführt werden können; wenngleich hier die Tonhöhen mancher Violin-Kaskaden mitunter recht willkürlich wirken und nicht immer so genau tonal ausgehört zu sein scheinen, wie das während anderer Momente unzweifelhaft der Fall ist. Am faszinierendsten sind die Stellen, an denen die Musik wirkt wie hinter einem Vorhang gefangen, während die ausbrechenden, anklägerischen Gesten an Effekt leider durch die Willkürlichkeit der gewählten Tonhöhen verlieren.

Der erste Teil der Produktion ist zwei Werken Schostakowitschs gewidmet. Gerade die kargen Strukturen der Violinsonate op. 134 von 1968 machen erfahrbar, wie sensibel der Geiger Vadim Gluzman und die Pianistin Angela Yoffe aufeinander eingehen. Es gelingen ihnen echte Piani und damit das Kunststück, fahl und dennoch klangreich und ausdrucksschön zu spielen. Gluzman vermag es, mit einem sanft expressiven, vielleicht bisweilen etwas flächigen Ton, die Gesangslinien sehr dicht zu weben und weit aufzuspannen; das feingliedrige Figurenwerk erscheint hingegen glasklar, ohne kalt-kristallin zu wirken. In der Begleitung leuchtet das Klavier wunderbar verhalten und amalgamiert sich wirklich mit der Violine. In den heftigen Teilen, besonders dem 2. Satz, „Allegretto“, überzeugt die Strategie, eine geradezu klassizistische Tonschönheit vor demjenigen Verismus walten zu lassen, der die Schostakowitsch-Interpretation schon so oft zu holzschnittartigen Ergebnissen brachte; wenngleich der tendenzielle Klassizismus hier auch dazu führt, daß die Höhepunkte des wilden Satzes etwas ausgebremst wirken.

So erweist sich das Klavier in den Höhepunkten als nicht massiv genug, wobei die Spannung und die Groteske im Seitensatz sich freilich auch wiederum genau daraus ergeben, daß das Klavier, das hier die Melodie spielt, sich – wohlgemerkt bewußt und genau dosiert – immer etwas weniger solistisch gibt als die begleitende Violine. Das ist eine geschickt hergestellte Diskrepanz zwischen Solo und Begleitung, die sich den seltsamen Gesichten des späten Schostakowitsch als angemessen erweist. Diesen kammermusikalischen Wundern gegenüber nimmt sich Schostakowitschs Jazz-Suite Nr. 1, vom Vater Guzmans für Geige und Klavier bearbeitet, nur als eine nette Petitesse aus, als ein typisches Zugabenstück, das an die morbiden Trauerränder der Originalfassung nicht herankommt. In dieser Einkleidung klingt es eben dann doch einen Tick zu sehr nach Fritz Kreisler …

Prof. Michael B. Weiß [05.07.2006]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Dimitri Schostakowitsch
1Sonate G-Dur op. 134
2Jazz Suite Nr. 1 op. 134 (Bearb. für Violine und Klavier)
Lera Auerbach
3Lonely Suite op. 70 (Ballet for a Lonely Violinist, Dedicated to Vadim Gluzman)
4Sonate Nr. 2 op. 63 für Violine und Klavier (in einem Satz)

Interpreten der Einspielung

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