Warner Classics 2564 62300-2
1 CD • 78min • 2005
28.04.2006
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Die führenden, bestens ausgebildeten jüngeren russischen Pianisten wagen sich erfahrungsgemäß etwas später an das Werk Beethovens heran. Sie nutzen zunächst ihre enormen technischen und physischen Möglichkeiten, reisen mit „ihren“ Komponisten Tschaikowsky, Prokofieff, Strawinsky, Rachmaninoff (gelegentlich auch mit Schostakowitsch), begeistern (oder irritieren) mit den deutsch-österreichischen Romantikern, mit Chopin und mit den originalen und transkriptorischen Stücken von Franz Liszt. Nikolai Lugansky – ein Schüler von Tatjana Nikolajewa und 1994 Sieger des Moskauer Tschaikowsky-Wettbewerbs – überzeugte in den letzten Jahren vor allem mit klar geschnittenen, schlanken, gescheiten und zugleich triebkräftigen Rachmaninoff-Aufnahmen. So ist es für den Hörer eine spannende Frage, wie sich dieser Könner, wie sich dieser Proponent geschmeidiger Virtuosität Beethovens Inhalte, die ganz speziellen Botschaften verschiedener Sonaten zu eigen macht.
Im Verlauf der Appassionata fällt zunächst auf, wie berechnend, wie vorsichtig Lugansky das auf zwei Oktaven verteile Unisono-Eröffnungsthema anfasst, wie bewusst das Seitenthema aufgebaut wird. Es ist im ersten Satz eine Deutung der gestauten Energien, des genauen Blicks auf jedes Detail. Erst in der Schlussentwicklung lässt er die Zügel schleifen – und dies zu Recht. Übersichtlich – weder zu verhalten, noch zu hektisch (wie zuletzt Fazil Say in einem Wiener Klavierabend!) – lässt er die Variationen vorüberziehen. Und im Finalsatz legt er richtig los, ohne zu viel Gas zu geben, wodurch die letzte Steigerung zur echten manuell-emotionalen Zuspitzung verdichtet wirkt.
Eher unauffällig von der gestalterischen Grundhaltung her ereignen sich die drei Sätze der Mondschein-Sonate – gelassen, leicht larmoyant der erste, korrekt, wohldosiert im Sentimentalen und im angedeuteten tänzerischen Impuls, furios und blendend austariert das „Presto agitato“. Diese Vorzüge mache ich ohne Zögern auch für Luganskys Vortrag der zweisätzigen, stilistisch aus dem Rahmen fallenden F-Dur-Sonate op. 54 aus, während er im Verlauf der D-Dur-Sonate merkwürdig indirekt, in den dynamischen und tempomäßigen Kontrasten blass formuliert. Man muss ja nicht unbedingt Glenn Goulds fanatische, im „Largo e mesto“ waghalsig kantable und „kontrapunktische“ Einspielung denken, aber Interpreten wie Sviatoslav Richter (Melodia/Eurodisc), jüngst András Schiff (ECM) oder große „Alte“ wie Wilhelm Kempff (DG) haben aus dieser seinerzeit revolutionären Sonate ein – je persönlich gefärbtes – Maximum an Bedeutung, an Lebendigkeit und Unvergleichlichkeit herausgehört und übermittelt.
So ist diese erste Beethoven-CD Luganskys als willkommene, interessante, aber nicht in jeder Hinsicht befriedigende Kontaktnahme zu beschreiben. In zehn Jahren etwa – dessen bin ich sicher – wird er auch die D-Dur-Sonate op. 10,3 mit stärkerer Schattierung, drängender, „wichtiger“ in seine Hände nehmen.
Peter Cossé † [28.04.2006]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Ludwig van Beethoven | ||
1 | Klaviersonate Nr. 23 f-Moll op. 57 (Appassionata) | |
2 | Klaviersonate Nr. 14 cis-Moll op. 27 Nr. 2 | |
3 | Klaviersonate Nr. 22 F-Dur op. 54 | |
4 | Klaviersonate Nr. 7 D-Dur op. 10 Nr. 3 |
Interpreten der Einspielung
- Nikolai Lugansky (Klavier)