Warner Classics 2564 63927-2
1 CD • 26min • 2006
14.11.2006
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Es ist dies eine Interpretation von Beethovens neunter Sinfonie in der Tradition längst vergangener Zeiten. Man meint gleichsam, die Geister Furtwänglers und Karajans zu spüren, wenn das West-Eastern Divan Orchestra unter Daniel Barenboim Beethovens Repertoire-Dauerbrenner in der Berliner Philharmonie zelebriert – so geschehen am 27. August 2006. Es scheint, als seien Überlegungen der historisch informierten Aufführungspraxis, wie auch der im engagierten Booklet-Text von Dorothea Diekmann beschworene Geist der französischen Revolution an Daniel Barenboim vorübergegangen – sieht man einmal von der Begeisterung der jungen Musiker ab, die trotz sehr breiter Tempi dem Werk Innenspannung verleihen können. Barenboim versteht es nach wie vor, seinem Orchester vor allem die Begeisterung zu vermitteln, grosse deutsche Komponisten so zu spielen, als ob es ihre eigene Musik wäre. Auf CDs des Orchesters mit Werken aus den Heimatländern seiner Mitglieder wird man wohl weiter vergeblich warten dürfen.
Man kann sich dem Sog dieser Aufführung kaum entziehen; für Barenboim scheint das Orchester ein regelrechter Jungbrunnen zu sein, er engagiert sich dort hörbar bis zur Erschöpfung. Chor und Soli sind hervorragend, wunderbar der warme, volle, doch klar strukturierte Bass von René Pape. Dem gegenüber steht eine musikalische Grundhaltung, die mir persönlich nicht entgegenkommt, nämlich eine, die das „Titanischeì bei Beethoven aufrecht erhält. Das bedeutet musikalisch breite Tempi besonders im ersten und dritten Satz (Adagio in Achteln statt in Vierteln); die Vernachlässigung von Beethovens Metronomisierungen und der Temporelationen (Trio im Scherzo zu langsam); ein massig-unberedtes Rezitativ der Celli und Bässe zu Beginn des Finales; ein für mich unerträgliches Dauer-Sostenuto und -Vibrato. Diese Dinge sind Geschmackssache, nicht aber die Bläser-Retuschen im Scherzo (die ergänzten Hörner zu den Holzbläsern), und die unklare Artikulation (schon die Sextolen zu Beginn des Kopfsatzes sind nicht deutlich, und erst die schlaffen punktierten Rhythmen des Hauptthemas in den Streichern...). Ich bevorzuge klar gezeichnete, differenzierte Beethoven-Einspielungen auf der Basis historisch informierter Aufführungspraxis. Wer auf dieser Linie liegt, dürfte sich bei Barenboims Beethoven nicht wohlfühlen, unabhängig von der unbestreitbar großen Spannung der Aufführung selbst, die jedoch, wie gesagt, auch unter ihren eigenen Voraussetzungen einige Makel aufweist.
Bedauerlich ist der in den Tutti knallige, räumlich wenig differenzierte Klang. Eine SACD-Mehrkanal-Aufnahme hätte den Klanggenuss sicher sehr verbessert. Man höre im Vergleich dazu nur einmal die vor kurzem erschienene Produktion der dritten und achten Sinfonie Beethovens mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen unter Paavo Järvi (RCA/BMG SACD 82876845182).
Dr. Benjamin G. Cohrs [14.11.2006]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Ludwig van Beethoven | ||
1 | Sinfonie Nr. 9 d-Moll op. 125 (mit Schlußchor über Verse aus Schillers "Ode an die Freude") |
Interpreten der Einspielung
- Angela Denoke (Sopran)
- Waltraud Meier (Mezzosopran)
- Burkhard Fritz (Tenor)
- René Pape (Bass)
- Chor der Deutschen Staatsoper Berlin (Chor)
- West-Eastern Divan Orchestra (Orchester)
- Daniel Barenboim (Dirigent)