cpo 777 054-2
1 CD/SACD surround • 57min • 2004
03.11.2006
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Mit der französischen Revolution wurde die europäische Aufklärung durch ein Zeitalter des Pathos abgelöst, für mindestens zwanzig Jahre stellte die Kultur in ihrem Selbstverständnis gewissermaßen ihre Orthographie auf die ausschließliche Verwendung von Großbuchstaben um. Waren die hergebrachten Glaubensgewissheiten durch Aufklärung und Rationalismus schon relativiert worden, schuf die Entmachtung der uralten Feudalinstitution Kirche jetzt ein religiöses Vakuum von solchen Ausmaßen, dass der Mensch selbst, schon von alters her Gottes Ebenbild und Krone seiner Schöpfung, gut an die Stelle des alten Herrschers der Welten treten konnte, dessen irdisches Personal Seite an Seite mit den Fürsten entmachtet worden war. Intimere Gefühlsregungen, wie sie in vielen innigen Kompositionen besonders der Kirchenmusik des Barocks zum Ausdruck kommen, drohten in diesem Meer von Pathos unterzugehen; nur Genies vom Range Beethovens haben es verstanden, die neu entdeckten hohen Gefühlsregionen mit Akzenten echter Innigkeit zu vereinen.
Paul Wranitzky, 1756 in Böhmen geboren und durch das Datum 30. Dezember nahezu ein Jahr jünger als W. A. Mozart, kam mit 20 Jahren nach Wien, trat dort zuerst in den Dienst des Grafen Johann Baptist Eszterhazy, wurde dann zwischen 1785 und 1787 Musikdirektor des neugegründeten Kärntnertortheaters, dann Mitglied im Orchester des Burgtheaters, dessen Direktor er zu Anfang der 1790er Jahre bis zu seinem Tod 1808 wurde. Haydn und Beethoven schätzen Wranitzky als erstklassigen Orchesterleiter.
Anlässlich des Friedensschlusses zwischen Österreich und der Französischen Republik, so hieß der vom Ersten Konsul Napoleon Bonaparte diktatorisch geführte Staat damals noch, schrieb Wranitzky seine euphorische Versöhnungssinfonie op. 31. Kaiser Franz missfiel das Werk, das den Staat verherrlichte, der seine Tante Marie Antoinette und ihren Gemahl, König Ludwig XVI., auf dem Gewissen hatte – folglich wurde es durch die Zensur verboten. Stimmenmaterial war allerdings schon gedruckt, und so gelangte das pathetische Tongemälde anderswo zu Aufführung, beispielsweise im Rahmen der Leipziger „Dilettantenkonzerte“.
Die Sinfonie op. 52 gehört zu den letzten sinfonischen Werken Wranitzkys. Sie erschien mit zwei anderen Sinfonien aus seiner Feder zur Jahreswende 1804/05 beim Verleger André in Offenbach. Besonders in diesem Spätwerk merkt man die stilbildende Einwirkung von Haydns späten Sinfonien (der auch schon die heroischen Akzente der Grande Symphonie op. 31 gelegentlich wohltuend mäßigt). Auf den Wegen des alten Meisters gelangt Wranitzky zu einem zeitgemäßen, wenn auch etwas epigonalen Tonfall.
Der in Hannover beheimateten NDR Radiophilharmonie unter ihrem vorzüglichen Dirigenten Howard Griffith ist es zu verdanken, dass diese Musik sich mit all ihren unleugbaren Vorzügen präsentieren kann – Elan und Einfühlsamkeit verbinden sich in dieser Interpretation optimal und lassen so zu, eine durchaus zeitgebundene Tonsprache nicht nur als interessanten Beitrag zur Musik der Beethoven-Zeit, sondern auch 200 Jahre später noch als musikalischen Gewinn zu erleben.
Detmar Huchting [03.11.2006]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Paul Wranitzky | ||
1 | Grande Sinfonie caractéristique pour la Paix avec la République française c-Moll op. 31 | |
2 | Sinfonie D-Dur op. 52 |
Interpreten der Einspielung
- NDR Radiophilharmonie (Orchester)
- Howard Griffiths (Dirigent)