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Besprechung CD

ECM 4763108

1 CD • 80min • 2005

26.10.2006

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 7
Klangqualität:
Klangqualität: 8
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 5

In seinem Beihefttext zu dieser Produktion behauptet der bekannte Musikwissenschaftler Jürg Stenzl, daß die Werke der drei hier versammelten Komponisten „jedem Hörer […] irgendwie verwandt und zusammengehörig“ erscheinen würden. Diesem Urteil möchte der Rezensent klar widersprechen, nicht nur, weil es pauschal ist, sondern besonders, weil es wesentliche Differenzen zwischen den kompositorischen Persönlichkeiten Galina Ustvolskayas und Valentin Silvestrovs unterschlägt, welche deren jeweilige musikalische Ästhetiken geradezu kluftartig trennen. Die Hauptdifferenz besteht hierbei prinzipiell in der Haltung, mit welcher der vorgefundenen Tradition begegnet wird.

In zwei frühen Werken, dem Klarinettentrio (1949) und der Violinsonate (1952), versucht Ustvolskaya mitnichten zu kaschieren, daß sie fern und indirekt an Schostakowitschs Musiksprache anknüpft, besonders an dessen motivische, Tonalität konstituierende Arbeit, sowie an dessen rhythmische Motorik. Solche Bezüge sind freilich schon bei der jungen Ustvolskaya so eigenständig weiterentwickelt, daß sich schon zu Beginn ihrer Laufbahn andeutet, wie sie ihren Lehrer Schostakowitsch später transzendieren wird. Ein wichtiger Vorzug aber läßt sich an diesen Werken, überhaupt an ihrem Komponieren, immer wieder entdecken: daß sie mit dem Material, selbst in der Groteske des „Energicos“ des Trios, ungemein ernsthaft umgeht, skrupulös; die Werke sind denn auch verdichtet und bestehen sozusagen nur aus wertvollen Momenten.

Um es deutlich zu sagen: Exakt dies kann man von Silvestrovs Violinsonate Post Scriptum (1990) nicht behaupten. Bei Silvestrov werden, keineswegs übrigens nur in diesem Stück, Anklänge an die Tradition derart ungefiltert, ja leichtfertig, in das Komponieren einbezogen, daß man von Naivität sprechen muß; darüber kann auch nicht hinwegtäuschen, daß der ukrainische Komponist (Jg. 1937) seine Wende zum – von ihm auch so bezeichneten –„Traditionalismus“ bereits in den 1970er Jahren bewußt und explizit vollzogen hat. Daß er seine Konventionalität scheinbar mutig auch so benannte, ändert nichts an der Unreflektiertheit der Musik selbst: Die abgestandenen Zitate aus älterer, tonal ungebrochener Musik sind schier allgegenwärtig, sie tauchen aus der ineinander verschwimmenden, schnell amorph und breiig werdenden Klangmasse auf.

Diese Nostalgie-Gesten sind schal, als ob sie von einer älteren Musik abgestorben und übriggeblieben wären, jegliches kompositorische Raffinement ist ihnen von vornherein abgesprochen, vielmehr erscheinen sie mit einer unbewußt anmutenden Selbstverständlichkeit, die weder zur Entstehungszeit, noch heute, gut fünfzehn Jahre später, ohne Legitimation auskommen könnte. Wenn schließlich Melodien auftauchen, die von einem unbeholfenen Filmkomponisten herzurühren scheinen, ergibt sich ein geradezu groteskes Mißverhältnis von Behauptetem: Wiederentdeckung der Tonalität, und real Geleistetem: deren naivem Mißbrauch. Diese Diskrepanz von Silvestrovs faktischer Unreflektiertheit des tonalen Komponierens, das allenfalls in der Film- oder Popmusik seinen Platz haben könnte, und dem unverhohlen kunstmusikalischen Anspruch des Werks läßt sich jedoch auch mit den Brüchen derjenigen Unstimmigkeit nicht wegerklären, die Postmoderne heißt. Von diesen Unzulänglichkeiten ist Ustvolskaya in jedem ihrer Stücke meilenweit entfernt.

Wenn sich also schon zwischen Ustvolskaya und Silvestrov kein gemeinsamer Nenner ergibt, könnte man höchstens eine gewisse innere Affinität zwischen Silvestrovs Komponieren und Arvo Pärts Spiegel im Spiegel für Klarinette und Klavier (1978/2003) erkennen, gewiß nicht einem der reichsten seiner Stücke. Auch hier dürfen die Anklänge an die Pop-Musik nicht mit dem Projekt einer Popularmusik verwechselt werden; auch die avanciertere Neue Musik legt ja seit mittlerweile über drei Jahrzehnten größeren Wert auf Faßlichkeit, wenngleich sie nicht bereit ist, diese mit einer Verarmung der Musik zu bezahlen.

Ihr Herkommen aus einem unreflektierten Traditionsbezug zeigen die prekärsten der Stücke dieses Albums noch um so deutlicher, als sie von den hochsensiblen Interpreten gespielt werden wie Kostbarkeiten Mozarts oder des späten Beethoven. Paradoxerweise läßt jede der unglaublichen Nuancen, die in Klarinette, Violine oder Klavier verzaubern, die Hohlheiten derjenigen Phrasen, an denen sie vorgeführt werden, unfreiwillig, aber doch, geradezu kritisch-ätzend hervortreten.

Prof. Michael B. Weiß [26.10.2006]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Valentin Silvestrov
1Post Scriptum für Violine und Klavier (1990)
2Misterioso für Klarinette solo (1996)
Arvo Pärt
3Spiegel im Spiegel für Klarinette und Klavier (1978/2003)
Galina Ustvolskaya
4Trio für Klarinette, Violine und Klavier
5Sonate für Violine und Klavier (1952)

Interpreten der Einspielung

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