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Besprechung CD zum Thema
Streichquartette

col legno WWE 1CD 20213

1 CD • 60min • 2004

15.09.2005

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 10
Klangqualität:
Klangqualität: 10
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 10

„Wir lernten Wolfgang Rihm Weihnachten 1998 im Hotel Römerbad Badenweiler kennen, als wir dort sein Streichquartett 'Im Innersten' spielten“, so berichten die Minguet-Musiker im sachkundig und umfangreich informierenden Beiheft. „Die uns alle Vier gleichermaßen begeisternde Arbeit an dem Stück und die persönliche Begegnung mit der beeindruckenden und herzlichen Persönlichkeit Rihms brachten uns auf die Idee der intensiven Auseinandersetzung mit seinem gesamten Quartettschaffen. ... Die weltweit erste Gesamteinspielung war ein großes und uns sehr wichtiges Projekt.“ Gewichtige Worte und Taten also, als Koproduktion der Firma col legno mit dem Deutschlandfunk jetzt mit den Quartetten Nr. 7 bis 9 zur Würdigung vorliegend, nachdem die Opera 1-6 bereits erschienen sind. Motivation und ein in allen Facetten überzeugendes Können der Interpreten rechtfertigen die beste Bewertung. Die Uraufführung des Quartettsatzes Nr. 9 (so ist das Original betitelt) war bereits 1993 durch das Emerson String Quartet, ebenfalls bei den Römerbad-Musiktagen in Badenweiler, derart erfolgreich vnstatten gegangen, daß das rund 23 Spielminuten beanspruchende Stück wegen seiner Publikumswirkung damals in vollem Umfang wiederholt werden mußte. Versucht man diese erfolgreiche Premiere anhand der vorliegenden Einspielung außerhalb einer euphorisch gestimmten Versammlung von Kennern und Liebhabern zu deuten, so stellt sich (wieder einmal) die Frage nach den suggestiven Wirkungen von Live-Darbietungen.

Hier nun ist das Resultat aus dem Studio unabhängig von seinem erkennbaren Höchstmaß an Wiedergabequalität auch an der kontrollierbaren Reproduktion aller notierten Details zu messen. Dabei zeigen sich die Partituren als mit geradezu naturwissenschaftlicher Akribie durchrationalisierte Kunstprodukte. Zusätzliche Einblicke gewähren viele Notenbeispiele vor dem Hintergrund ausführlicher Werkerläuterungen durch den sachverständigen Rihm-Kenner Rudolf Frisius in den mehrsprachig beigefügten Beihefttexten. Freilich, Frisius’ sezierende Beschreibung der „aufgebrochenen Tonmuster“ kann auch nicht auf enigmatische Formulierungen verzichten, die den einen oder anderen Zuhörer/Leser durchaus zu irritieren vermögen: Pulsationen – Verflüssigung – Potenzierte Klangpunkte – Mikrotonale Glissandi – Dissoziation u.a.

In der Tat läßt sich die Vielfalt der akustischen Ereignisketten mit ihrer Lust an ständig wechselnden Impulsen, Klangtupfern und Geräuschmixturen schwerlich auf einen alles erklärenden Nenner bringen. Da müssen selbst die Musikanten ab und zu zum Schlagwerk (woodblock) greifen oder mit dem Notenpapier rascheln und andere außermusikalische Techniken aktivieren. Auf Schritt und Tritt haben wir es mit der sprühenden Kreativität des Komponisten zu tun, 1952 in Karlsruhe geboren, bereits seit 1972 mit führenden Beiträgen auf den Donaueschinger Musiktagen vertreten und 1985 zum Professor für Komposition avanciert. Was sich klanglich und ästhetisch in seinen Streichquartetten äußert, wird man am ehesten als eine Art „Elementarteilchenmusik“ in Anlehnung an die von der Kernphysik abgeleiteten Mikroreaktionen und deren Strahlungseigenschaften umschreiben müssen. Stets ist bei Rihm das Einzelquartett ein zunächst unteilbares Ganzes, das weder Satzbezeichnungen noch andere trennende Abschnitte kennt – hier hat der Produzent zum Nutzen der CD-Hörer mit „künstlichen“ Unterteilungen in Tracks nachgeholfen. Als ergänzenden Werktitel nennt der Komponist sein Quartett Nr. 7 auch Veränderungen, obwohl dieser Hinweis insgesamt für den Inhalt aller Quartette und jeder einzelnen "Takte" typisch ist. Zugleich vermeiden die Werkarchitekturen jede Assoziation zu den herkömmlichen Begriffen wie Thema, Motiv, Melodie oder Harmonie. Alle Expositionen, Wiederholungen, Durchführungen, Reprisen und Schlußteile, wenn es sie überhaupt geben sollte, sind von vornherein konsequente „Veränderungen“, hörbar als eine unerschöpfliche Fülle von atomisierten Klangimpulsen. Fazit: es sind vom Komponisten selbst gestellte Herausforderungen, deren konsequente Ausarbeitung weit über alle postseriellen Phasen hinaus Wolfgang Rihm gerade in dem sensibelsten aller Bereiche der Kammermusik, dem Streichquartett, seinen Rang bestätigt.

Dr. Gerhard Pätzig [15.09.2005]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Wolfgang Rihm
1Streichquartett Nr. 7 (Veränderungen)
2Streichquartett Nr. 8 (1987/1988)
3Streichquartett Nr. 9 (Quartettsatz)

Interpreten der Einspielung

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