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Besprechung CD

Joseph Haydn The Paris Symphonies Nos. 82-87

deutsche harmonia mundi 82876 60602 2

3 CD • 3h 06min • 2001, 2002

23.05.2005

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 7
Klangqualität:
Klangqualität: 9
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 8

Verglichen mit den andern Veröffentlichungen ihrer Harnoncourt-Reihe, auf denen der Maestro mal abweisend-vergrübelt, mal geradezu leidend dreinschaut, kommen diese drei CDs in der praktischen Klapppapppackung (auch Digipack geheißen) geradezu heiter einher: Kleine, bunte Perückenmännlein und -weiblein mit und ohne Instrument bevölkern collageartig angeordnete Symbole der Seinemetropole – Louvre, Triumphbogen, Eiffelturm, Obelisk (fehlt nur noch der berühmte Metro-Eingang) – und signalisieren also anachronistischen, besser: zeitlosen Frohsinn, Spielwitz, musikalische Munterkeit. Und in der Tat sind einige Sätze der Pariser Sinfonien, die Nikolaus Harnoncourt hier mit seinem Concentus Musicus zur Ausführung bringt, recht frohsinnig und amüsant ausgefallen: Besonders die bisweilen recht aufmüpfigen Menuette mit ihren bezaubernden Trios, von denen das eine oder andere derart charmant dahingeht, daß man sich selbst als sonst tanzunlustiger Freund der Tonkunst wünschte, mal wieder recht herzlich übers Parkett walzen zu können.

Doch wie ich es zuletzt so oft bei Harnoncourt beobachten mußte, will sich der gesamte Eindruck nicht mit den vielen liebevoll offerierten Köstlichkeiten zu einem geschlossenen Ganzen fügen. Daß mir vor allem bei Anhörung der Ecksätze ein Berlioz-Zitat aus Felix Weingartners lesenswerter Abhandlung Über das Dirigieren einfiel, ist ein geradezu fataler Gedankenblitz: „Häufig verlangt ein Dirigent von seinen Musikern eine Übertreibung der dynamischen Nuancen, mag er nun damit einen Beweis seines Eifers geben wollen, oder mag es ihm an Feinheit des musikalischen Empfindens fehlen. Einfache Schattierungen werden dann zu groben Klecksen, Akzente zu leidenschaftlichem Kreischen. Die vom beklagenswerten Komponisten beabsichtigten Wirkungen werden völlig verzerrt und vergröbert, die künstlerischen Absichten des Dirigenten aber, mögen sie noch so ehrlich sein, erinnern doch an die Zärtlichkeiten jenes fabelhaften Eseleins, das seinen Herrn durch Liebkosungen zu Boden streckte.”

Daß der hier in Rede stehende Dirigent es ernst meint, daß er nicht leichtfertig operiert, erhellt schon aus seinen unbedingt lesenswerten Arbeitsnotizen zu Haydns Pariser Symphonien, die in dem umfangreichen Beiheft abgedruckt sind. Geradezu programmatische Denkansätze („eine Art rasender Roland“ heißt es beispielsweise zum Kopfsatz der Nummer 82) verraten uns, was sich der Künstler bei seinen Auslegungen gedacht hat, liefern ihn uns damit aber auch in gewisser Weise aus, denn seine Assoziationen sind natürlich völlig subjektiv und anfechtbar wie jede persönliche Meinung (objektiv sind letztlich nur Pflastersteine). Doch nicht seine Ansichten sind das Problem, sondern der Umgang mit der klingenden Materie: Die auch aus den „Programmen“ nicht begreifbaren Temposchwankungen etwa wie im Finale der Nummer 87, das so wunderbar, so mitreißend startet, nur um nach knapp einer halben Minute mit einer Vollbremsung auf den Nebengedanken einzuschwenken – als habe man gerade noch im letzten Augenblick die richtige Ausfahrt erwischt. Ähnliches erlebt man zu Beginn der Sinfonie Nr. 85, die hier in dynamische Bereiche vordringt, deren Entdeckung sich nach allgemeinem Rechtsempfinden Peter Tschaikowsky hat patentieren lassen (pppppp), und die zudem mit solch manierierten Rubati aufwartet, wie man sie eigentlich von einem Schulmeister, nicht von einem Dirigenten erwartet. Und wieder geschieht, was die gesamte Reihe so problematisch macht: Nachdem man zunächst in verschiedenen Tonarten und Lautstärken vor sich hin gegrollt hat, kommt ein Menuett von unwiderstehlichem Charme und ein Schlußsatz, bei dem’s einen nicht mehr halten will – spritzig, feurig, unprätentiös (und auch ohne jene dicken Farbspritzer und Hornattacken, die einem so manchen Kopfsatz verleiden), einfach pfiffig und zielstrebig, so daß man sich auf die nächste Sinfonie freut. Und dann fängt alles wieder von vorn an: Übertriebene Gesten, mitunter auch ein breitgetretenes Andante, ein explosives Menuett und ein gelungenes Finale.

„Kann man auch in manchem Irrtum ,Beweise von Eifer’ und gute Meinung voraussetzen,“ fuhr Felix Weingartner seinerzeit fort, „so ist es doch nicht zu vermeiden, daß das Schicksal eines, unter solchen Absonderlichkeiten zu Gehör gebrachten Werkes in vielen Fällen dem einer Pflanze vergleichbar ist, die der Professor der Botanik soeben zerlegt hat und deren den Besuchern des Kollegs demonstrierte Blätter, Staubfäden und Fruchtbehälter nun zerzupft und zerstreut auf dem Katheder herumliegen.“

Leider, leider ist Nikolaus Harnoncourt ausgerechnet bei Joseph Haydn der Versuchung des Anatomen nicht entgangen. Viele Schönheiten, viele Willkürlichkeiten, manches fesselnd und wirklich fabelhaft, anderes derart demonstrativ, daß man, ganz Tasso, die Absicht fühlt und verstimmt ist: Es ist praktisch unmöglich, hier eine faire Wertung zu vergeben – weshalb die angegebene „7“ auch nur die Mittelachse darstellt, um die die Gesamtproduktion pendelt.

Rasmus van Rijn [23.05.2005]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Joseph Haydn
1The Bear No. 82 C major Hob. I:82 (Der Bär)
2Sinfonie Nr. 83 g-Moll Hob. I:83 (La Poule)
3Symphony No. 84 E flat major Hob. I:84 (Pariser)
4Sinfonie Nr. 85 B-Dur Hob. I:85 (La Reine)
5Sinfonie No. 86 D major Hob. I:86 (Paris)
6Sinfonie Nr. 87 A-Dur Hob. I:87

Interpreten der Einspielung

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