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Besprechung CD

cpo 999 929-2

1 CD • 57min • 2002

16.12.2004

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 9
Klangqualität:
Klangqualität: 9
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 9

Er empfinde die Vertonung dichterischer Worte, erläuterte mir unlängst ein befreundeter Komponist, ganz so, als brächte man ein Glas mit zarten Berührungen dazu, die in ihm eingeschlossene Musik wieder freizugeben. Es sei nun dahingestellt, ob Othmar Schoeck womöglich ähnliches fühlte, doch es steht zweifellos fest, daß der Erzlyriker aus der Schweiz, einer der ganz großen (noch immer unter Wert gehandelten) Meister des Liedes und des vokalen Schaffens im 20. Jahrhundert – daß dieser nach außenhin so stille Künstler aus dem kleinen, niedlichen Singspiel Erwin und Elmire unseres hochverehrten Geheimrats Goethe nicht nur die „verdichtete” Musik, sondern auch die ganze pastellartige, empfindsame Atmosphäre und gespielte Naivität des zauberhaften Stückchens aufgespürt und herausgelöst hat.

Es ist aber auch ein zu putziges Dingelchen, dieses aus gerade mal zwei Bildern bestehende Stückchen, in dem der Dichterprinz aus Frankfurt am Main 1774 – wieder ein wenig autobiographisch gewürzt – von der umschwärmten Elmire, ihrer praktisch veranlagten Mutter, dem unglücklichen Jungdichter Erwin und dem gemeinsamen älteren Freund Bernardo erzählt. Dem jungen Mädchen hat es gefallen, den durchaus geliebten Erwin mit gespieltem Kaltsinn so lange zu reizen, bis der sich verzweiflungsvoll in eine Einöde zurückgezogen hat, und jetzt hat sie den Schaden. Nur noch der empfindsame Genuß des thränenreichen Gebets bleibt ihr, da selbst Mutter Olimpia ihr modisch-exaltiertes Verhalten nicht gutheißen kann; doch es gibt ja Bernardo, den immer wieder gerngesehenen Topos (der sich in andern Singspielen auch mal als Dorfwahrsager oder Zauberer verkleidet) – und natürlich weiß er auch hier wohl zu raten: Er habe einen Einsiedler getroffen, der ein idealer Zuhörer sei, berichtet er; ihm könne Elmire das Herz ausschütten. So geschieht’s dann, und der Eremit, der vermeintlich ein Schweigegelübde abgelegt hat, hört sich das Geständnis seiner Geliebten an, kaum fähig, die von Bernardo bereitgestellten Requisiten (Kutte und Vollbart) bei sich zu behalten. Am Ende triumphiert natürlich die Liebe ...

Mit siebzehn Liedern hat Goethe das kleine Stück gespickt, und jedes einzelne steckt tatsächlich so voller Musik, daß es gleich für mehrere Komponisten reichte. Johann André vertonte die Poesie für die Erstaufführung 1775, Johann Friedrich Reichardt nahm sich 1790 der Zweitfassung des Schauspiels an, Mozart schrieb die berühmteste Version des Veilchens – und dennoch blieb für Othmar Schoeck wahrlich genug zu tun, als er 1911 mit der Arbeit an Erwin und Elmire begann. Schon die quirlige Miniaturouvertüre ist ein funkelndes Juwel wie das bezaubernd pastose und pastorale Intermezzo, das von der ersten Szene mit Olimpia, Elmire und Bernardo zu der felsigen Einöde mit Garten überleitet, in der Erwin seinen Liebesschmerz bewältigen will; die Bandbreite der Soli, Duette und Terzette reicht von der geradezu ergreifend schlichten Lyrik des „neuen” Veilchens bis zum köstlichen Humor des tiefgründigen Philosophen („Hin ist hin, und tot ist tot”), von beschaulich-mütterlichen Tröstungen bis hin zum leicht wagnernden Wiedervereinigungsjubel, den Erwin, Elmire und Bernardo selbdritt erschallen lassen; der von Anfang bis Ende mit größter Fantasie wunderbar ausgeführte Part des kleinen Orchesters gewährt mitunter Blicke auf Busonis Arlecchino oder Lustspielouvertüre, hin und wieder auch auf Schoecks Lehrer Max Reger (das allerdings nur in wenigen dezenten Harmonieverbindungen) – und schließlich öffnet sich in der siebten Gesangsnummer (Bernardos „Ein Schauspiel für Götter, zwei Liebende zu sehen”) sogar ein Fenster, durch das dann Schoeck gemeinsam mit Busoni bis zu Beethovens Schauspielmusiken und Fidelio zurückschaut, ohne daß man auch nur im entferntesten von einer Kopie sprechen könnte. Das ist wahrlich höchste Kunst!

Die sängerischen Leistungen sind äußerst anständig, und zwar in dem Sinne, daß sie der Musik wohl anstehen. Mareike Schellenberger gibt Olimpia die rechte Fülle, Jeannette Fischer kann sich als Elmire hübsch in Szene setzen, dürfte allerdings bei passenden Gelegenheiten ein wenig schnippischer und leichter agieren; Tino Brütsch ist dort am besten, wo Erwin leidet und schmachtet, indessen er das erste der beiden Schlussterzette mit dramatischerem Impetus hätte angehen können; und Hans Christoph Begemann kommt einwandfrei dort am besten zurecht, wo er belehrende oder kapriziös verspielte Töne anschlagen darf. Das Orchester unter Howard Griffith läßt Othmar Schoecks einzigartiges Schmuckkästlein in all seinen raffinierten Lichtern glitzern und – ja, fast hätte ich gesagt: schillern, obwohl der Text ja von Goethe ist ... Eine rundum wonnige Produktion!

Rasmus van Rijn [16.12.2004]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Othmar Schoeck
1Erwin und Elmire op. 25 (Gesänge zu dem Singspiel von Goethe)

Interpreten der Einspielung

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