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Besprechung CD

Carl Schuricht

Bruckner

SWRmusic 93.148

2 CD • 2h 16min • 1951, 1954

28.02.2005

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 7
Klangqualität:
Klangqualität: 7
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 7

Die hier veröffentlichten live-Mitschnitte von Bruckners achter (Stuttgart, 10. 3. 1954 mono) und neunter Sinfonie (Stuttgart, 2. 11. 1951, mono) folgen dem Text der Bruckner-Gesamtausgabe, herausgegeben von Robert Haas (Achte) bzw. Alfred Orel – eine für Bruckner-Liebhaber wichtige Information, die im Beiheft leider fehlt. (Mit der Angabe „Bruckner Verlag GmbH Leipzig“ können nur Forscher etwas anfangen, und so würde man sich in solchen Detailfragen gründlichere Recherche als nur den Blick in die Produktions-Akten wünschen.)

Carl Schuricht war zweifellos einer der großen Bruckner-Pioniere, wie diese Veröffentlichungen der Sinfonien 4, 5 und 7 bis 9 aus den SWR-Archiven belegen. Ähnlich souverän wie Eugen Jochum handhabte Schuricht die monumentalen Partituren mit großer Flexibilität der Tempi und enorm starken Ausdruckskontrasten. Ein interessanter, versachlichender Gegenpol zu diesem Ansatz sind übrigens die ebenfalls im SWR-Archiv befindlichen Studioproduktionen, die zur der gleichen Zeit in Baden-Baden Hans Rosbaud aufgenommen hat – es wäre schön, wenn Hänssler Classics auch diese bedeutenden Dokumente veröffentlichen könnte (erhalten sind die Sinfonien 2 bis 9, die man mit einem hinreißenden Mitschnitt der Ersten unter Ernest Bour schön ergänzen könnte). Auch das Stuttgarter Rundfunkorchester kann sich auf eine lange Bruckner-Tradition berufen, die später von Sergiu Celibidache kongenial fortgeführt werden sollte. Bruckner-Fans sind für diese Veröffentlichungen dankbar, die zwar in unterschiedlichen Tonqualitäten seit Jahren auf Raritätenlabels kursieren, nun aber im SWR von Irmgard Bauer und Dietmar Wolf noch einmal remastered worden sind. Leider war der Zustand der Bänder offenbar sehr unterschiedlich und teilweise sehr schlecht; darauf deuten manche kleinen Heuler und Phasenverschiebungen, die sich wohl nicht mehr korrigieren ließen. Umso dankbarer muß man für die Erhaltung dieser Dokumente sein.

Auch im Falle der achten und neunten Sinfonie liegt ein Vergleich mit Schurichts späteren Einspielungen mit den Wiener Philharmonikern nahe (EMI 252 925 2 und EMI 252 224 2). Schurichts Auffassung der Achten hat sich über die Jahre offenbar wenig geändert; im ersten und letzten Satz hat er sich in Stuttgart etwas mehr Ruhe gegönnt als zehn Jahre später in Wien. Der Kopfsatz beginnt rhythmisch nicht sehr entschieden, entwickelt aber bald dramatische Intensität. Jeden Brucknerianer wird jedoch das ersterbende Allargando am Ende verwundern (Tr. 1, 15’42): Bruckner sprach hiervon zwar als von einer Sterbeszene, fand jedoch das Bild einer „Totenuhr“, die an der Wand hängt und weiterschlägt, während im Zimmer jemand stirbt. Eine Uhr macht aber kein Ritardando. Dafür spricht auch Bruckners Beibehaltung des Tempos im zweiten Satz, ebenfalls ein Allegro moderato in Vierteln, das hier erheblich frischer genommen wird (Tr. 2), während Bruckner offensichtlich die Spannung aus dem ersten Satz weiter in den zweiten hineintragen wollte. Wie schon in der siebten Sinfonie kam Schuricht auch in der achten mit dem Adagio besonders gut zurecht, allerdings scheint mir das Hauptthema wiederum übertrieben emotional und schränkt so weitere Entwicklungsmöglichkeiten ein – beispielsweise bei seiner Rückkehr im 2. Teil des Satzes, Tr. 3, 8’03, der schon etwas blasser als der Beginn wirkt. Schuricht mußte, um dem entgegenzuwirken, auch prompt das Tempo etwas anziehen. Das Finale ist straff, aber nicht überhetzt. Im Hauptthema bestand Schuricht auf der Einhaltung der von Bruckner gesetzten Anweisungen für die Streicher und traf damit den beabsichtigten auftaktigen Charakter einer (so Bruckner) „Reiterei der Kosaken“. In Wien wird dies traditionell aus Bequemlichkeit in „Abstrich/Aufstrich“ umgekehrt. Im weiteren Satzverlauf folgte Schuricht jedoch gängigen Pfaden der Interpretation, beispielsweise der Angewohnheit, das Tempo der von Bruckner „Totenmarsch“ genannten Schlußperiode der Exposition gewaltig anzuziehen (Tr. 4, nach 6’17), wodurch die für die Architektur des Satzes so bedeutsame Wiederkehr vom Rhythmus des Hauptthemas aus dem ersten Satz in den Hörnern (die „Todesverkündigung“) völlig im Klang untergeht. Die Interpretation der Sinfonie als Ganzes empfinde ich im Gegensatz zur Siebten als eher mäßig gelungen, ebenso auch die abschließend präsentierte Lesart der Neunten. Hier herrscht zu Beginn des ersten Satzes bezüglich der Tempi die reinste Anarchie – gegenüber der Partitur geradezu Verwerfungen –, als ob Schuricht das Geschehen überhaupt nicht in der Hand gehabt hätte. Von dem organischen, straffen Zug der phänomenalen Wiener Aufnahme von 1962 ist hier noch nichts zu hören – eine arge Enttäuschung. Das Scherzo kommt im Eiltempo daher, ebenfalls etwas unstet schwankend, auch in den dynamischen Kontrasten immer sehr mezzoforte (was sicher nicht an der Aufnahme liegt). Das Zusammenspiel des Orchesters ist in dieser live-Aufnahme von 1951 oft wackelig. Und das Adagio ist trotz der angenehm flüssigen Tempi (die nicht so ganz extrem sind wie in der späteren Wiener Aufnahme) ebenfalls spannungsarm und ließ mich ziemlich kalt. (Die Wertung versteht sich als der Durchschnitt einer 8 für die achte und einer 6 für die neunte Sinfonie).

Dr. Benjamin G. Cohrs [28.02.2005]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Anton Bruckner
1Sinfonie Nr. 8 c-Moll WAB 108 01:19:45
CD/SACD 2
1Sinfonie Nr. 9 d-Moll WAB 109 00:56:00

Interpreten der Einspielung

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