Geistliche Vokalwerke
hänssler CLASSIC 92.140
2 CD • 76min • 1999/2000
01.01.2001
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Diese Doppel-CD (deren Inhalt von der Spieldauer her leicht auf eine CD gepaßt hätte) beschließt die Bach-Gesamtausgabe bei Hänssler. Als Herausgeber der monumentalen, 140 Teile umfassenden Edition zeichnet die Stuttgarter Bachakademie verantwortlich. Mit der Berufung auf eine Institution im Gewande akademischer Weihen möchte die Plattenfirma vermutlich ihrem gewaltigen Vorhaben ein Prestige verleihen, das der Herausgabe eines historisch-kritischen Notentextes vergleichbar wäre. Die wissenschaftliche Herausgabe von Noten unterscheidet sich allerdings fundamental von der Veröffentlichung einer musikalischen Interpretation: Der Notentext – ob im Original oder in vertrauenswürdigen Editionen studiert – bildet die wichtigste Grundlage einer Interpretation; musikwissenschaftliche und zeitgeschichtliche Studien treten ergänzend hinzu, doch entscheidend ist der kreative Dialog zwischen dem Musiker und dem Kunstwerk, das er zum Klingen bringt. Eine Gesamtausgabe eines kompositorischen Œuvres auf CD kann folglich keine Urtextautorität für sich in Anspruch nehmen, sie bleibt wie jede Aufnahme eines Einzelwerks auf die geglückte technische Ausführung und künstlerische Deutung angewiesen.
"Warum Bach das Stück in der hochliegenden und deshalb große Anforderungen vor allem an die Sänger stellenden Tonart Es-Dur schrieb, ist nicht bekannt", schreibt Andreas Bomba im Einführungstext. Seit einigen Jahren sind die tatsächlichen Umstände allerdings bekannt: In seinen ersten Leipziger Jahren (das Magnificat in Es-Dur entstand 1723) standen Bach für sein Orchester Instrumente zur Verfügung, die im französischen Kammerton standen – dieser war mit ca. 392 Hertz einen Halbton tiefer als der damals in Deutschland übliche Kammerton von ca. 415 Hertz. Was Bach also in Es-Dur notierte, klang für das deutsche Ohr des 18. Jahrhunderts als D-Dur. Für heutige, an den Kammerton von 440 Hertz angepaßte Hörgewohnheiten wäre die klingende Tonart Des-Dur – ein Ganzton tiefer als heutiges Es-Dur – wahrlich eine große Anforderung an die Sänger! Später verfügte Bach über ein anderes Instrumentarium, das im deutschen Kammerton gestimmt war, und so setzte er sein Magnificat in der zweiten, heute bekannteren Version in D-Dur – es war für ihn eine Selbstverständlichkeit, die gehörte Tonart des Originals zu bewahren. Gewiß, diese Erkenntnis ist neu – Hermann Max, dem Dirigenten der Vergleichseinspielung, war sie zum Beispiel noch nicht zugänglich, er musiziert im barocken Ton auf 415 Hertz. Von einer Institution, die mit dem Namen Bachakademie für ihre Tätigkeit einen wissenschaftlichen Anspruch erhebt, sollte Vertrautheit mit dem jüngsten Forschungsstand vorausgesetzt werden dürfen.
Es wäre verfehlt, zur Beurteilung künstlerischer Leistungen der Deutung und Ausführung dieselben Kriterien heranzuziehen wie für einen Begleittext, hier hat das Faktische geringere Bedeutung. Die Tonlage von einem Ganzton über der zu Bachs Zeiten üblichen Tonhöhe führt gleichwohl nicht nur zu dem oben erwähnten Mißverständnis im Begleittext; besonders die Vokalsolisten leiden hörbar unter den beträchtlichen zusätzlichen Schwierigkeiten. Niemand, der zur Aufführung moderne Instrumente verwendet, käme deshalb auf die Idee, das Stück nach Des-Dur zu transponieren; es wird allerdings plausibel, warum die Es-Dur-Version des Magnificat nie die Verbreitung finden konnte wie die bescheidenere, aber leichter zu präsentierende Schwester in D-Dur. Auch die Bachakademie plaziert das Stück an den Katzentisch der letzten Folge gemeinsam mit Fragmenten und Alternativsätzen, die aus Gründen der Vollständigkeit noch vorgeführt werden.
Das Magnificat als Gesang der Freude erlebt man in der Vergleichseinspielung; in Rillings Interpretation überwiegen repräsentative Töne. Gegenüber dem souveränen Orchester – besonders die Trompeten können sich im Glanz des hohen Es-Dur sonnen – gerät der Chor immer wieder ins Hintertreffen. Die Rheinische Kantorei kann sich dem verschlungenen Geflecht der Chorstimmen mit spürbarer Hingabe widmen, während die stark besetzte Gächinger Kantorei mit gelegentlichen Unkonturiertheiten zu kämpfen hat.
Detmar Huchting [01.01.2001]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Johann Sebastian Bach | ||
1 | Magnificat Es-Dur BWV 243a | |
2 | Symbolum Nicenum BWV 232/II (frühe Version der Sätze 13 und 15 aus der h-Moll-Messe BWV 232) | |
3 | O ewiges Feuer, o Ursprung der Liebe BWV 34a (Kantate) | |
4 | Lobe den Herrn, meine Seele BWV 69a (Kantate) | |
5 | Herr Gott, Beherrscher alle Dinge BWV 120a (Kantate) | |
6 | Ehre sei Gott in der Höhe BWV 197a (Kantate) |
Interpreten der Einspielung
- Sibylla Rubens (Sopran)
- Ruth Sandhoff (Sopran)
- Christiane Oelze (Sopran)
- Ingeborg Danz (Alt)
- Anke Vondung (Alt)
- Marcus Ullmann (Tenor)
- Christoph Prégardien (Tenor)
- Andreas Schmidt (Bass)
- Klaus Häger (Bass)
- Michael Volle (Bass)
- Gächinger Kantorei Stuttgart (Chor)
- Bach Collegium Stuttgart (Orchester)
- Helmuth Rilling (Dirigent)