Als ein Korrektiv zum herrschenden Schlendrian im philharmonischen Musikbetrieb gründeten Arnold Schönberg und Anton Webern im November 1918 in Wien den „Verein für musikalische Privataufführungen“, dem sich der dritte große Exponent der Neuen Wiener Schule, Alban Berg, bald anschloß. Ziel war die Erziehung des Publikums zum Verständnis der zeitgenössischen Musik (und nicht nur dieser) durch exemplarische Interpretationen.
Neunzig Minuten barocke Triosonaten: Das klingt erst einmal nach Arbeit. Bei diesem Album des Ensembles „Echo du Danube“ ist das genaue Gegenteil der Fall. Wollte man mit historischem Bewusstsein an die Sache herangehen, müsste man die zwölf Sonaten für Violine, Viola da Gamba und Basso Continuo von Johann Philipp Krieger op. 2 wohl in kleinen Portionen genießen, am besten vermischt mit weiteren Werken aus der Zeit kurz vor der Jahrhundertwende 1700, durchaus auch von anderen Komponisten.
„“Warum?“ – so könnte die naheliegende Reaktion eines Musikliebhabers lauten, der auf dem Programm dieses Albums die Transkription eines vollständigen Liederzyklus erblickt. Im Zeitalter der Urtexte erscheinen bloße Nachahmungen von Originalen wie Ketzerei.“ So schreibt der junge türkische Komponist Can Çakmur im Booklet zu seiner neuen (zweiten) Einspielung mit der Liszt’schen Bearbeitung von Schuberts Liedzyklus Schwanengesang.
Wolfgang Amadé Mozarts Schaffen für Streichquartett lässt sich in zwei Gruppen einteilen: a) 13 vermeintliche Handgelenksübungen aus den Jahren 1772/3, die der Komponist nie drucken ließ und b) die 10 „großen“ Quartette der späteren Wiener Jahre, die den meisten Hörern aus Rundfunk und Konzertsaal geläufig sein dürften.
Prokofiev by Arrangement, Music for Violin and Piano
Toccata Classics TOCC 0135
1 CD • 64min • 2017, 2018
15.01.2021 • 7 8 7
Der Komponist Sergei Prokofiev ist vor allem bekannt für seine Bühnenmusik – klangvolle und teils lautmalerische Orchestermusik nimmt eindeutig einen größeren Teil seines Œuvres ein als Kammermusik. Auch sein Schaffen für Violine ist im Vergleich zu der großen Anzahl von Kompositionen, die im Laufe seines Lebens entstanden, eher klein. Grund genug also für Viktor Derevianko, Mikhail Fikhtengolts, Jascha Heifetz, Yair Kless, Nathan Milstein, Mikhail Reitikh und Grigori Zinger, Auszüge aus seinen Bühnenwerken für Violine und Klavier zu bearbeiten.
Sergei Rachmaninoff • Maurice Ravel, Hélène Grimaud, piano
MDG 650 2165-2
1 CD • 56min • 1992
14.01.2021 • 9 9 9
Sergej Rachmaninows Klavierkonzert Nr. 2 in c-Moll und Maurice Ravels Klavierkonzert in G-Dur sind ein denkbar ungleiches Paar. Aber die Vereinigung dieser beiden gegensätzlichen Bravourstücke auf einem Tonträger markiert einen aufschlussreichen Kontrast, der einmal mehr die Entwicklungsdynamik im 20. Jahrhundert unterstreicht.
Zunächst muss man die Programmgestaltung loben: Das Trio Imàge präsentiert auf dem vorliegenden Album ein nie aus dem Standartrepertoire verschwundenes Hauptwerk eines berühmten Meisters, verhilft der lange vergessenen Arbeit eines Verdrängten zu klingender Existenz, und macht zuletzt mit einem Zeitgenossen bekannt, der aufhorchen lässt.
Fredrik Ullén plays Kaikhosru Sorabji, 100 Transcendetal Studie
BIS 2433
2 CD • 1h 58min • 2018, 2019
12.01.2021 • 10 10 10
Es ist vollbracht! Der für technisch extrem anspruchsvolles Repertoire (Ligeti!) bekannte, schwedische Pianist Fredrik Ullén legt als Doppel-CD die letzte von sechs Folgen mit dem wohl umfangreichsten und über weite Strecken schwierigsten Etüdenwerk der gesamten Klavierliteratur vor: Die Nummern 84-100 der Études transcendantes des britischen Exzentrikers Kaikhosru Sorabji (1892-1988)
Unter Organisten ist Johann Nepomuk David (1895-1977) ein Begriff, und mittlerweile rücken auch seine Symphonien dank der Initiative von cpo wieder etwas mehr ins Bewusstsein. David hat auch einiges an Kammermusik geschrieben, darunter Solo- und Duowerke sowie eine ganze Menge an Trios, unter welchen die Streichtrios in der klassischen Besetzung für Geige, Bratsche und Cello mit vier Beiträgen den größten Schwerpunkt bilden.
In einem Programm die Werke einfach linear-chronologisch anhand ihrer Entstehungszeit „aufreihen“ – das kann (fast) jeder! Die Pianistin Josefa Schmidt verfolgt auf ihrer Debüt-CD einen anderen Weg: Wenn sie aus Werken verschiedener Komponisten aufschlussreiche thematische Stränge webt, werden Gemeinsamkeiten spürbar, Bezüge sichtbar und wird vor allem der Aufbruchsgeist einer Zeit nachfühlbar.
Als Franz Schubert im Jahre 1816 seine drei Sonaten für Violine und Klavier schrieb, waren ihm in der Gattung des Lieds bereits bahnbrechende Meisterwerke wie „Gretchen am Spinnrade“(1814) „Wanderers Nachtlied“, „Rastlose Liebe“ und „Erkönig“ (alle 1815) gelungen. Hier konnte er schon früh seiner Phantasie freien Lauf lassen und sah sich weniger an Muster und Vorbilder gebunden wie in der Instrumentalkomposition.
„Frouwentränen“ lautet der Titel der Aufnahme des Trio Viaggio, die beim Label Perfect Noise erschienen ist. Die Aufnahme ist jedoch nicht etwa trübsinnig wie der Titel zunächst vermuten ließe – denn kulturgeschichtlich betrachtet ist das Weinen keinesfalls immer nur als Trauer zu deuten, sondern wird vielmehr als direkter Beweis von Affektübertragung (ganz im Allgemeinen) gewertet.
Kann man sich zwei unterschiedlichere Klarinettenquintette vorstellen, als die im Abstand von nur sieben Jahren entstandenen Kompositionen von Max Reger und Paul Hindemith? Reger war mittlerweile milder geworden und zu einem gebändigteren, abgeklärterem Spätstil gekommen – wenn man von einem solchen bei einem mit 43 Jahren Verstorbenen überhaupt reden kann.
Mit sehr anschaulichen Worten beschreibt der Schweizer Pianist Cédric Pescia die Arbeit mit Philippe Cassard an der gemeinsamen Aufnahme, die bei dem audiophilen Label La Dolce Volta erschienen ist. Für das gemeinsame Projekt haben sich die beiden Pianisten ein prachtvolles Werk ausgesucht, das im Normalfall zum Jahresende omnipräsent gewesen wäre: Beethovens Sinfonie Nr. 9.
Während der Studienzeit in Frankfurt/Oder leitete Johann Gottlieb Janitsch das Collegium musicum der Universität. Sein direkter Nachfolger war C.P.E. Bach. Später wurden sie zu Kollegen in der Hofkapelle Friedrichs II., in der Janitsch als Kontrabassist fungierte.
Die Hamburger Oper war das Sprungbrett nicht nur in die Karriere Christoph Graupners (1683-1760), der hier ab 1705 als Cembalist in Reinhard Keisers Opernorchester tätig war; auch Georg Friedrich Händel machte hier die ersten Schritte seiner Karriere. Das beweist nicht nur die Bedeutung dieses bürgerlichen Musiktheaters am Hamburger Gänsemarkt für die Geschichte der deutschen Barockoper, sondern bezeugt auch Graupners Rang als Komponist
Die beiden Violinkonzerte Bohuslav Martinůs entstanden 1932-33 und1943 (dazwischen komponierte er zwei weitere substanzielle konzertante Werke für Violine und Orchester). Während das zu Beginn der US-Emigration komponierte Zweite Violinkonzert schnell seinen Weg machen konnte und seit damals zu Recht gefürchtet ist, verschwand das für Samuel Dushkin geschriebene Erste Violinkonzert in der Versenkung, bevor es uraufgeführt worden wäre.
Live from Stadtcasino Basel, Sinfonieorchester Basel • Ivor Bolton
Berlin Classics 0301675BC
1 CD • 66min • 2020
01.01.2021 • 7 8 7
Nach vierjähriger Umbauphase wurde der Musiksaal des Basler Stadtcasinos, der wegen seiner hervorragenden Akustik zu den besten Konzertsälen der Welt gerechnet wird, im vergangenen August wiedereröffnet. Mit der Neugestaltung des historischen Baus von 1876 war das Basler Architekturbüro Herzog & de Meuron befasst, das sich zuvor schon bei der Hamburger Elbphilharmonie einen Namen gemacht hatte.
Der Reichtum der Hanse war legendär. Das Handelsnetz war ein Garant für den Austausch von Waren und für die beteiligten Städte eine Garantie für Wohlstand. Das schlug sich auch in der Kultur nieder: prächtige Bauten und riesige Kirchen zeugen heute noch davon, letztere zumeist mit großen historischen Orgeln ausgestattet.
Es ist ziemlich genau fünf Jahre her, dass ich Vincent Larderets Aufnahme der Ravel-Konzerte besprechen durfte. Was für eine großartige Einspielung! Dass ich sie auf eine Stufe mit den Aufnahmen von Arturo Benedetti Michelangeli und Krystian Zimerman gehoben habe, hat mich im Nachhinein doch noch etwas beschäftigt. Zu hoch gegriffen? Keineswegs! Larderets nun vorliegende Liszt-Aufnahme bestätigt in jeder Hinsicht meine Einschätzung des Franzosen als wahrhaft außergewöhnlichen Pianisten und Künstler.
Franz Berwald gehört zu den Komponisten, deren Bedeutung erst am Lebensende erkannt wurde. Deshalb musste er – so wie es heute manchen Künstlern im Lockdown ergehen mag – in mehreren Phasen seines Lebens „berufsfremd“ als Orthopäde in Berlin und als Leiter einer Glasfabrik und einer Sägemühle in Nordschweden seinen Lebensunterhalt bestreiten.
Der Name des Albums, mit dem das Quatuor Zaïde Ludwig van Beethoven im Jahr seines 250. Geburtstags seine Reverenz erweist, lautet schlicht „Ludwig‟. Dass die beiden Werke, die auf der CD zu hören sind, charakterlich sehr stark zueinander kontrastieren, ist durchaus beabsichtigt, denn es war der Leitgedanke des Projekts, Beethoven, frei nach Nietzsche, von seiner apollinischen und seiner dionysischen Seite zu zeigen.
Die Grundidee, klassische Musik mit Jazz zu konfrontieren und zu verbinden, ist nicht neu, sondern hat eine hundertjährige Tradition. Doch im Falle der ganz auf die Kantilene und den Belcanto ausgerichteten italienischen Oper, dem „melodramma“, hat sie zumindest den Reiz des Ungewöhnlichen. Was kommt dabei heraus, wenn ein Instrument wie das Flügelhorn (das wie eine hohe Trompete klingt) die Rolle der Sänger übernimmt und von einem Jazzpianisten ordentlich eingeheizt bekommt?
Die Kraft liegt in der Ruhe im zweiten Volume von Bozena Wetchacz „Scent of the Past“, in denen die in Dänemark lebende Gitarristin einmal mehr mit musikalischen Kostbarkeiten aus vielen Jahrhunderten einen unaufgeregten Bogen spannt – und dabei in lupenreiner, klarer Diktion den gemeinsamen Nenner zwischen so unterschiedlichen Komponisten wie Leo Brower, Baden Powell, Johann Sebastian Bach oder Nino Rota zum klingen bringt.
Ebenso wie Beethoven feiert auch Christian Heinrich Rinck im annus horribilis 2020 die 250. Wiederkehr seines Geburtstags. Rinck dürfte vor allem Organisten bekannt sein, war er doch einer der führenden Orgelkomponisten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Durch seinen Lehrer Johann Christian Kittel, einen der letzten Schüler J. S. Bachs, erhielt er eine höchst solide Ausbildung im Orgelspiel und der Komposition sowohl im barocken als auch im klassischen Stil.
Recht hat Silke Leopold, die ja eine Monografie Monteverdis verfasst hat, wenn sie im Booklet dieser CD schreibt: Jeder Aufführung der Marienvesper muss eine Reihe von Entscheidungen vorausgehen, die, wie immer man sie auch trifft, individuell und anfechtbar sind, stets aber zu neuem Hören einladen und neue Facetten dieser ungeheuerlichen Musik freilegen.“
Mit nicht weniger als acht Gattungsbeiträgen zwischen 1855 und 1874 war Joachim Raff einer der produktivsten Streichquartett-Komponisten seiner Zeit. Zu Lebzeiten international berühmt – Hans von Bülow und Pjotr Tschaikowskij waren nur die prominentesten seiner zahlreichen Fürsprecher –, posthum als Vielschreiber gescholten und lange Zeit unter Wert gehandelt, hat Raffs Ruf seit dem späten 20. Jahrhundert durch Tonträgeraufnahmen immens profitiert.
Swan Hennessy, En passant ... Selected works for piano
Perfect Noise PN 2006
1 CD • 75min • 2020
22.12.2020 • 8 8 8
Der Pianist Moritz Ernst hat sich vor allem damit einen Namen gemacht, Klaviermusik zu Unrecht in Vergessenheit geratener Komponisten wieder ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen. Verdienstvoll und auch qualitativ auf höchstem Niveau war etwa seine Gesamtaufnahme der Klaviersonaten Viktor Ullmanns sowie der erhaltenen Sonaten des Schönberg-Schülers Norbert von Hannenheim. In seiner neuen CD beschäftigt sich Ernst mit den größtenteils impressionistischen Miniaturen des Amerikaners Swan Hennessy (1866-1929).
Johann Kuhnau (1666-1722) ist bekanntermaßen der Vorgänger Bachs als Thomaskantor, hat in dieser Funktion 21 Jahre gewirkt und so viel komponiert, dass in seinem Nachruf stand, es „mag wohl schwerlich zu zelen seyn“. David Erler, der Herausgeber seiner Werke im Verlag Breitkopf & Härtel und Altus dieser Aufnahme, behauptet, dass Kuhnaus Kirchenkompositionen die „seines Amtsnachfolgers Johann Sebastian Bach quantitativ in den Schatten gestellt haben dürfte“.