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ARD-Musikwettbewerb Ein Fenster zu... Kompass

ARD-Musikwettbewerb

Auf Erfolgskurs

70. ARD-Musikwettbewerb: Semifinale Klavierduo

Kennen Sie schon den MNF? Nein? Das ist der Masken-Nerv-Faktor, der beim diesjährigen ARD-Wettbewerb ein sicheres Kriterium für die Bewertung der Teilnehmer abgibt, denn je spannender und intensiver musiziert wird, desto weniger spürt man die im Saal obligatorische FFP2-Maske.

Einen relativ hohen MNF wies das diesjährige Pflichtstück von Vassos Nicolaou The Maze (The Minotaur is there) auf. Das Stück ist frei atonal, verdichtet sich jedoch ganz gelegentlich zu wiedererkennbaren Klangereignissen (Vogelstimmen durch extrem schnelle Tonwiederholungen, brechendes Eis oder Glas durch Diskantcluster, schnelle, ebenfalls clusterartige Figuren im Bass, die wohl das Schnarchen des Minotaurus darstellen sollten, Sphäreneffekte durch stumm niedergedrückte und mit dem dritten Pedal von Anfang an gehaltene Tasten). Insgesamt eine bunte Mischung aus Strawinsky und modernisiertem Messiaen, deren Labyrinth jedoch nicht zum Gewinn des „Triwizards Cup‟ (vergl. „Harry Potter und der Feuerkelch‟) führte. Am besten gelang die Sinnfindung zu einer halbwegs plausiblen Geschichte dem Duo Sakamoto, dem Geister Duo und dem Duo La Fiammata, sehr ordentlich auch dem Duo Petkunaite.

Breites Spektrum

Als Wahlpflichtstücke standen die drei Doppelkonzerte von J. S. Bach BWV 1060-62 und von Max Reger die eher einfachen Walzer op. 22 – durchaus noch im Look von Brahms‘ op. 39 – neben den hochvirtuosen Cinq Pièces pittoresques op. 34 zur Auswahl. In letzteren macht sich der Komponist mit typischen Mustern von Salonstücken einen Heidenspaß.

Das Bach-Spiel der Duos reichte von gelangweilt (Melnikova-Morozova, Kalabova & Gugg) mit hohem MNF bis hin zu spannend, spritzig, pointiert (Geister Duo, La Fiammata, Sakamoto, Petkunaite, denen allerdings ein paar Fehlgriffe durchrutschten). Hierbei waren die c-moll-Konzerte (3x BWV 1060, 2x 1062) beliebter als das als Duo für 2 Cembali entstandene C-Dur Konzert, mit dem La Fiammata einen hellen Akzent setzen konnte. Allen wäre mehr Mut zu freien Auszierungen und differenzierteres Trillern anzuraten. Das Duo Petkunaite interpretierte die 6 Walzer höchst charmant, während sie bei Melnikova-Morozova eher plattfüßig wirkten.

Von Sternstunde bis Ehrenrettung

Das vierte Werk konnte frei gewählt werden. Jeweils zwei Duos entschieden sich entweder für die Suite op. 5 oder diejenige op. 17 von Rachmaninow. Die Suite op. 5 kann wegen ihrer exzessiven Wiederholung von Melodiefloskeln als salonhafte Minimal-Music mit allen Raffinessen des spätromantischen Klaviersatzes gelten. Hier hatten Melnikova-Morozova eine Sternstunde und präsentierten irisierende Farben sowie weit ausschwingende Kantilenen, die man vorher bei ihnen vermisst hatte. Auch die Schwestern Petkunaite konnten hier punkten. Die Suite op. 17 leidet an einem – zumindest für heutige Steinways – viel zu massiven Klaviersatz und der geschwätzigen Länge ihrer Teile. Das führte bei Kalabova & Gugg zu brutalem Lärmen mit hohem MNF, während den beiden Virtuosinnen von La Fiammata eine Ehrenrettung gelang.

Das Geister Duo wählte die Haydn-Variationen op. 56b von Johannes Brahms. Ihm gelang es, mit einer brillanten, wohldurchdachten Interpretation die Komplexität des Werkes, die in der Orchesterfassung oft im Klang verschwindet, optimal zu verdeutlichen. Diese bildete den Höhepunkt des Nachmittags, wie es am Vormittag mit der Interpretation der Beethoven-Variationen von Camille Saint-Saëns dem Duo Sakamoto gelungen war. Hier war dann jeweils auch der MNF völlig verschwunden.

Das Accompagnement der Bach-Konzerte versahen 11 Streicher (3,3,2,2,1) des Münchener Kammerorchesters. Aus dem jeweiligen Engagement des Orchesters ließen sich durchaus Rückschlüsse auf das Verhalten während der Proben mit den einzelnen Duos ablesen.

Das Finale erreichten absolut zu recht das Geister Duo, die Sakamotos, La Fiammata und – merkwürdigerweise – Melnikova-Morozova. Da hätte ich die Petkunaites vorgezogen. Es zählen allerdings auch die Leistungen des vorherigen Durchgangs.

Thomas Baack (06.09.2021)

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